Zähl nicht die Stunden
seiner Pension verzichtet hatte. Um jeden Penny hatte er gefeilscht, und er war mit den Unterhaltszahlungen für die Kinder ständig in Verzug. Würde es ihr
ähnlich ergehen, wenn Jakes Gewissen sich erst beruhigt hatte?
Mattie verdiente als Kunsthändlerin ganz gut. Sie war es gewöhnt, für sich selbst aufzukommen , hatte sogar etwas Geld gespart. Sie hatte immer gehofft, sie könnte das Geld einmal in einer Parisreise für Jake und sich anlegen, einer verspäteten Hochzeitsreise, aber es sah nicht danach aus, als würde sie so bald wieder eine Hochzeitsreise machen.
Wie weit, dachte sie jetzt, würde sie mit dem Geld kommen? Geld war in ihrer Ehe mit Jake nie ein Thema gewesen. Würde sich das ändern, wenn er in die Sozietät aufgenommen würde? Würde er dann alles für die neue Frau und sein neues Leben behalten wollen?
Im Schlafzimmer schaltete sie den Fernsehapparat ein, und die
unerfreulichen Gedanken gingen im Geschützdonner eines Wild-West-
Films unter. Ihr Blick flog zu dem überbreiten Doppelbett mit der
königsblauen Steppdecke, die von ihrem Nickerchen noch zusammen
geschoben war. Es sah aus, als läge dort noch jemand.
»Ich kann mir aussuchen, auf welcher Seite ich schlafe«, sagte sie und ließ sich auf Jakes Seite aufs Bett hinunterfallen. Sie warf das Kopfkissen, aus dem noch sein Geruch aufstieg, zu Boden, stand wieder auf und trat mitten darauf.
»Ich kann endlich das gottverdammte Fenster zumachen.« Mehr als
fünfzehn Jahre lang Nacht für Nacht sibirische Kälte, nur weil Jake sich einbildete, bei geschlossenem Fenster nicht schlafen zu können.
Zielstrebig marschierte sie zum Fenster und knallte es mit Nachdruck zu.
Dann sah sie die Fernbedienung für den Fernsehapparat auf dem
blauen Cordsessel auf Jakes Seite des Zimmers liegen und nahm sie zur Hand. »Hier bestimme ich«, rief sie lachend und zappte sämtliche
Programme durch, bevor sie das Gerät wieder auf den Sessel warf und ins Bad ging. Vor der Spiegelwand, die das weiße Porzellanbecken
umrahmte , zog sie Jeans und Sweatshirt aus. Als Erstes , dachte sie , werde ich alle diese Spiegel abmontieren lassen.
Sie legte Büstenhalter und Höschen ab und betrachtete mit
Bestürzung ihren nackten zerschundenen Körper. »Fit for Fun« , sagte sie dumpf und drehte das Wasser auf , um sich ein Bad einlaufen zu lassen.
Ich werde jetzt das ganze heiße Wasser verbrauchen« , verkündete sie so laut , dass der Schall ihrer Stimme sich an den mandelfarbenen Marmorkacheln der Wände brach und in ihren Ohren widerhallte. Ich
werde das ganze heiße Wasser verbrauchen , und dann weise ich mich selbst in die nächste Klapsmühle ein , dachte sie und merkte, dass es in ihrer rechten Fußsohle schon wieder zu kribbeln begann.
Sie humpelte zur Toilette, klappte den Deckel herunter, setzte sich und begann, den Fuß zu massieren. Aber diesmal ließ das Kribbeln auch nach mehreren Minuten energischer Massage nicht nach, und sie musste auf dem kalten Fußboden zur Wanne robben , um das Wasser
abzudrehen, bevor das Bad überschwemmt wurde. Einen Moment lang
erblickte sie sich, auf allen vieren kriechend, in einem schmalen Stück Spiegel, das nicht von Wasserdampf beschlagen war, und musste sich
abwenden , weil ihr plötzlich schwindelig war. »Ach was , nichts als schlechte Blutzirkulation« , sagte sie laut und ließ sich vorsichtig ins heiße Wasser gleiten. Sie sah zu , wie ihre Haut rot anlief, und dachte, die Farben zählend, Rot, Violett , Gelb und Braun , mein Körper als Farbkomposition. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an die
Rundung am Ende der Wanne. Das Wasser benetzte die Schrammen an
ihrem Kinn , und sie musste an ihre Mutter denken , die sich von ihren Hunden das Gesicht lecken ließ.
Merkwürdig, das Haus ohne Jake.
Dabei war seine Abwesenheit nichts Ungewohntes für sie. Jake
arbeitete praktisch Tag und Nacht und war im Grunde genommen selbst
dann nicht anwesend , wenn er direkt neben ihr saß. Ab und zu hatte er geschäftlich verreisen müssen, und dann hatte sie die Nacht allein in ihrem gemeinsamen Bett geschlafen. Aber das hier war etwas anderes.
Diesmal würde er nicht zurückkehren.
Als er verkündet hatte, er werde sie verlassen , dachte Mattie im ersten Moment, ein Faustschlag habe sie in den Magen getroffen. Sie musste
ihre ganze Energie zusammennehmen, um sich nicht zu krümmen und
laut aufzuschreien. Warum? War es denn nicht eine Erleichterung,
endlich klare Verhältnisse zu haben,
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