Zähl nicht die Stunden
ängstlich und als hätte sie starke Schmerzen. »Ich muss mich nur ein paar Minuten setzen.«
»Sie gehört nach Hause in ihr Bett«, bemerkte Rosie Mendoza.
»Aber dann geht’s ihr schnell wieder besser, nicht?« Kim setzte sich neben ihre Mutter und nahm deren Hand.
»Die Ergebnisse müssten in ein, zwei Tagen da sein«, sagte Rosie
Mendoza. »Dr. Vance meldet sich bei Dr. Katzman, sobald er etwas hat.«
»Danke.« Mattie saß reglos , den Blick auf die Spitzen ihrer braunen Stiefel gesenkt , die unter ihrer braunen Hose hervorkamen.
»Hat es wehgetan?« , fragte Kim ihre Mutter, nachdem Rosie Mendoza gegangen war.
S ag nein , sag nein , sag nein .
»Ja«, sagte Mattie. »Es hat scheußlich wehgetan.«
»Wo haben sie dir die Nadeln reingesteckt?«
Sag ’ s mir nicht.
Mattie wies vorsichtig zu ihren Schultern und ihren Oberschenkeln,
zeigte ihre geöffneten Hände. Erst da fiel Kirn das Heftpflaster auf der Innenfläche der Hand ihrer Mutter auf. »Wie viele waren es?«
»Zu viele.«
»Tut es immer noch weh?«
S ag nein , sag nein , sag nein .
»Es geht«, sagte Mattie, aber Kim sah ihr an, dass sie log.
Warum stellte sie ihrer Mutter diese Fragen, wenn sie doch die
Antworten gar nicht hören wollte? Es reichte doch zu wissen, dass ihre Mutter sich in den letzten anderthalb Stunden einer unangenehmen und, wie sie ihr versichert hatte, völlig überflüssigen Untersuchung
unterzogen hatte, die über die Aktivität der Nerven in ihrem Körper Auskunft geben sollte, und dass sie diese Untersuchung nur Lisa
Katzman zuliebe auf sich genommen hatte. Kim fragte sich zornig , warum Lisa es für nötig gehalten hatte , ihre Mutter dieser Tortur zu unterwerfen, wenn sie absolut überflüssig war.
»Möchtest du eine Tasse Kaffee oder etwas anderes?«, fragte sie, um
nicht darüber nachdenken zu müssen, dass Lisa vielleicht bezüglich der Notwendigkeit der Untersuchung anderer Ansicht war.
Mattie schüttelte den Kopf. »Ich will nur hier einen Moment sitzen
bleiben. Dann können wir gehen.«
»Wie kommen wir nach Hause?«, fragte Kim plötzlich.
Ihre Mutter hatte darauf bestanden, selbst ins Krankenhaus zu fahren, obwohl Lisa ihr geraten hatte, sich von jemandem bringen zu lassen , da sie nach der Untersuchung vielleicht zu geschwächt und nervös sein
könnte, um sich selbst ans Steuer zu setzen, zumal nach dem schweren Unfall, von dessen Folgen sie sich immer noch nicht ganz erholt hatte.
Aber Mattie hatte sich hartnäckig geweigert, eine ihrer Freundinnen zu bitten, und sie hatte Kim auch nicht erlaubt, die Großmutter anzurufen.
Die sei in Notlagen nicht zu gebrauchen, behauptete sie, jedenfalls in Notlagen, bei denen es um Menschen ging. Was Jake anging , so dachte Mattie gar nicht daran , ihn zu bitten , und Kim war in dieser Hinsicht ganz konform mit ihr. Sie brauchten Jake nicht. Was sollten sie mit einem Mann , der keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass er lieber mit einer anderen Frau zusammen war? Mattie brauchte die Hilfe ihres Ex-Mannes in spe so wenig wie Kim ihren Ex-Vater in spe.
»Ich bin immer für dich da«, hatte er ihr an diesem fürchterlichen
Abend vor genau einer Woche versichert, als er sie bei ihrer Großmutter abgeholt hatte, die in einem kleinen Haus in dem früher ziemlich
heruntergekommenen, heute ausgesprochen schicken Viertel der Stadt
lebte, das Old Town genannt wurde. »Ich bin immer noch dein Vater,
und daran wird sich nie etwas ändern.« »Du hast es schon geändert« , widersprach sie.
»Ich bin aus dem Haus ausgezogen , aber nicht aus deinem Leben.«
»Aus den Augen , aus dem Sinn« , erwiderte Kim kalt.
»Es hat mit dir überhaupt nichts zu tun.«
»Es hat alles mit mir zu tun« , konterte Kim.
»Manchmal passiert eben etwas.«
»Ach , wirklich? Es passiert? Ganz von selbst? Einfach so?« Kim war sich bewusst , dass sie laut wurde. Sie genoss den Klang der Empörung in ihrer Stimme, sie genoss es zu sehen, wie ihr Vater, der ihr in dem kleinen italienischen Restaurant gegenüber saß, sich wand. »Willst du vielleicht behaupten, dass das höhere Gewalt ist?«
»Ich versuche nur, dir zu sagen, dass ich dich lieb habe und immer für dich da sein werde.«
»Nur wirst du irgendwo anders sein.«
»Ich werde irgendwo anders wohnen.«
»Genau. Und dort wirst du für mich da sein«, versetzte Kim, stolz auf ihre Schlagfertigkeit. Sie gab ihr das Gefühl, Macht zu besitzen, und verhinderte, dass es ihr das Herz in tausend Fetzen zerriss.
»Ich
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