Zähl nicht die Stunden
hinunter. »Wir müssen
miteinander reden«, sagte er.
13
»Ich will nicht reden!« Mattie stürmte wütend aus der Küche. »Das
habe ich dir bereits gesagt. Ich dachte , ich hätte mich klar genug ausgedrückt.«
»Wir haben keine Wahl , Mattie« , entgegnete Jake , der ihr ins Wohnzimmer gefolgt war. »Wir können nicht einfach ignorieren, was
geschieht.«
»Es geschieht überhaupt nichts!«
Mit ausgestreckten Armen, wie um ihren Mann auf Abstand zu
halten, begann Mattie in dem großen Raum im Kreis herum zu gehen.
Sie trug Jeans, einen alten roten Pulli und abgetragene karierte
Hausschuhe, die ziemlich schäbig aussahen. Jake war in seiner
Anwaltstracht – konservativer grauer Flanell, blassblaues Hemd,
dunkelblauer Schlips. Wenn wir kein ungleiches Paar sind, dachte Mattie.
Hätte sie wenigstens anständige Schuhe angehabt! Aber mit ihren
Schuhen hatte sie in den letzten Tagen Probleme gehabt. Beim Gehen
war sie immer wieder mit den Schuhspitzen am Boden hängen geblieben
und gestolpert. In Hausschuhen kam sie besser zurecht.
Sie sah zu der Reihe von Fenstern hinüber, die den größten Teil der
Südwand des Wohnzimmers einnahm, und dachte an den Pool, aus dem
vor kurzem das Wasser abgelassen worden war. Jetzt war er, für den
Winter eingemottet , mit einer hässlichen Plastikplane zugedeckt, die einem riesigen grünen Müllsack glich. In den ersten Wochen, in denen sie morgens auf den Sprung in den Pool verzichten musste, litt sie stets an Entzugserscheinungen. Aber in diesem Jahr war es schlimmer als
sonst. Vielleicht würde sie das Becken nächstes Jahr überdachen lassen.
Das würde teuer werden, aber die Ausgabe würde sich lohnen. Sie würde dann das ganze Jahr durch schwimmen können. Jake würde
wahrscheinlich meutern, aber zum Teufel mit ihm. Soll er doch.
Vielleicht, überlegte Mattie , würde sie auch die beiden Sessel vor den Fenstern neu beziehen lassen, das steife gestreifte Leinen durch etwas Weicheres ersetzen, Samt vielleicht. Aber den Ohrensessel mit dem
beige-goldenen Bezug und den Petit-Point-Teppich mit dem
Blumenmuster würde sie behalten. Jake konnte den Stutzflügel haben, der in der Südwestecke des Zimmers stand und nur noch ein
Staubfänger war, seit Kim vor mehreren Jahren mit dem
Klavierunterricht aufgehört hatte. Aber kämpfen würde sie mit allen Mitteln um die kleine Bronzestatue von Trova, die neben dem Klavier
stand, die beiden Diane-Arbus-Fotografien an der Wand dahinter, den
Ken Davis, der über Eck dazu hing, und die Rothenberg-Lithographie, die fast die ganze Wand gegenüber dem Sofa einnahm.
War Jake nicht aus diesem Grund gekommen? Um die Beute zu
teilen?
Sie hatte es angenommen, als er am vergangenen Abend angerufen
und gesagt hatte, er würde am folgenden Nachmittag gegen zwei
vorbeikommen, es gäbe einiges zu besprechen. Aber als sie bei seiner Ankunft das traurige Lächeln gesehen hatte, so ein Lächeln, bei dem sie Lust bekam, ihm die ebenmäßigen weißen Zähne einzuschlagen, und die
Schmerzensmiene, die, noch ehe er den Mund aufmachte, verriet, wie
ernst es ihm mit seinem Vorhaben war, hatte sie gewusst, dass es bei dem bevorstehenden Gespräch nicht um die Scheidung oder die
Aufteilung des Vermögens gehen würde. Alles würde wiedergekäut
werden, die Worte und der sanfte Druck der letzten Wochen, alles, was vielleicht bei Geschworenen wirkte , auf sie aber überhaupt keinen Eindruck machte: die bittenden Vorhaltungen, doch zur Vernunft zu
kommen, die Versuche, sie zu zwingen, einer Wahrheit ins Auge zu
sehen, die sie nicht bereit war, zur Kenntnis zu nehmen oder zu
akzeptieren. In den vergangenen zwei Wochen hatte Jake mindestens einmal am Tag angerufen; er hatte darauf bestanden, sie zu ihren
Terminen im Northwest General Hospital und in der Klinik in Lake
Forest zu begleiten; er hatte in der Apotheke das von Lisa verschriebene Medikament geholt, obwohl sie ihm klipp und klar gesagt, dass sie nicht die Absicht hatte, es zu nehmen; er hatte sich ständig zu ihrer Verfügung gehalten. Kurz gesagt, er hatte sich unversehens in etwas verwandelt , was er in den nahezu sechzehn Jahren ihrer Ehe nie gewesen war — einen
Ehemann.
»Fahr wieder in deine Kanzlei«, sagte Mattie jetzt zu ihm. »Du hast doch so viel zu tun.«
»Ich bin für heute fertig.«
Mattie bemühte sich nicht, ihre Überraschung zu verbergen. »Gott, da muss ich ja wirklich schwer krank sein«, sagte sie.
»Mattie –«
»War nur ein Scherz,
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