Zähl nicht die Stunden
während Geist und Bewusstsein klar und
scharf blieben.
Und wie hatte Mattie auf jeden neuen Befund reagiert? Sie war
losgezogen und hatte sich eine nagelneue Corvette gekauft , obwohl sie wegen der damit verbundenen Gefahr eigentlich überhaupt nicht mehr
Auto fahren sollte. Sie hatte für beinahe zwanzigtausend Dollar mit ihrer Kreditkarte eingekauft. Sie hatte für das Frühjahr eine Reise nach Paris gebucht. Und sie lehnte es immer noch ab , das verschriebene Medikament einzunehmen, das Jake ihr längst besorgt hatte. Wozu sie Medikamente nehmen sollte, fragte sie, wenn es ihr absolut glänzend
gehe! Das Taubheitsgefühl in ihren Füßen sei nicht wieder aufgetreten, ihre Hände funktionierten bestens, sie habe keinerlei Beschwerden,
weder beim Schlucken noch beim Sprechen oder Atmen. Die Ärzte
hätten sich geirrt. Wenn sie wirklich ALS habe, sei offensichtlich eine Remission eingetreten.
Für Jake war klar, dass sie entschlossen war, die Krankheit zu leugnen, und er fragte sich, wie er selbst in einem solchen Fall reagiert hätte.
Mattie war eine junge, schöne Frau, die sich gerade auf ein ganz neues Leben vorbereitet hatte. Und plötzlich - wumm – hatte man ihr
Todesurteil gefällt. Kein Wunder , dass sie sich weigerte, es zu glauben.
Und vielleicht, vielleicht hatte sie ja Recht, und alle anderen irrten sich.
Es wäre nicht das erste Mal. Mattie war stark, sie war hartnäckig, sie war unzerstörbar. Sie würde sie alle überleben.
»Woran denkst du?«, fragte Honey, und Jake sah an ihrem Blick, dass
sie es schon wusste. »Sie wird es schon packen, Jason.«
»Sie wird es nicht packen«, entgegnete er ruhig.
»Entschuldige«, sagte Honey. »Ich wollte damit nur sagen, dass sie sich ganz sicher mit dem, was ihr geschieht, auseinander setzen wird.
Dann wird sie auch die Medikamente nehmen. Du solltest dir nicht so schreckliche Sorgen machen. Mattie weiß, du wirst dafür sorgen, dass sie die besten Ärzte hat und die beste Behandlung bekommt, und sie weiß
auch, dass du immer für Kim da sein wirst. Mehr kannst du nicht tun.«
Sie küsste ihn auf den Mundwinkel und nahm ihn bei der Hand.
»Komm. Machen wir dir was zu essen. Heute ist ein wichtiger Tag für
dich.«
»Ich komme sofort«, sagte Jake. »Ich möchte nur schnell duschen und
mir die Zähne putzen –« »Okay , ruf , wenn du soweit bist.«
Sein Blick folgte ihr , als sie aus dem Schlafzimmer hinausging. Selbst durch das dicke Frotte des Bademantels konnte er die Rundungen und
Mulden ihres tollen Körpers erkennen. Er hätte gestern Abend mit ihr schlafen sollen, anstatt Müdigkeit vorzuschützen und sich von den
peinigenden Sorgen um Mattie fertig machen zu lassen. Er würde es
heute Abend wieder gutmachen. Oder vielleicht sogar heute Morgen.
Er blickte zum Bett, das er völlig zerwühlt hinterlassen hatte, die Decke halb auf dem Boden, die Laken zerknittert , die Daunenkissen zusammengedrückt und zerknautscht. Aber eigentlich passte das
unordentliche Bett zu diesem chaotischen Zimmer. Honey gehörte zu
den Menschen, die nichts wegwerfen konnten. Sie war eine Sammlerin –
alter Zeitschriften, altmodischen Modeschmucks , ungewöhnlicher Füllhalter – , die einfach alles sammelte , was ihr in die Finger fiel. Kein Wunder, dass es in der ganzen Wohnung kaum ein freies Plätzchen gab.
Münzen und zarte Chiffonschals tummelten sich auf ihrer antiken
Frisierkommode; über dem Zeitungsstapel auf dem kleinen Sessel hing ein ganzes Sortiment von Seidenblusen, die sie einfach hingeworfen
hatte, weil es ihr zu anstrengend war, sie in den Schrank zu hängen , der ohnehin bereits voll gestopft war mit Kleidern und Kostümen , die sie nie anzog. Antike Puppen in weißer Spitze saßen zusammengedrängt unter
dem Fenster neben einer bunten Sammlung von Stofftieren aus Honeys
Kindheit. Und überall standen Körbe herum. Sie hatten bereits davon gesprochen, eine größere Wohnung zu suchen, weil er für seine Sachen hier kaum Platz fand.
Diese ganze Geschichte konnte für Honey nicht leicht sein, sagte sich Jake, als er ins Bad ging und seinen Bademantel auf die beiden Katzen hinunterwarf, die mit seinen nackten Zehen spielten. Unter lautem
Protestgeschrei flüchteten sie aus dem kleinen Bad, als er in die Dusche trat und den Hahn ganz aufdrehte. Ein spitzer Strahl heißen Wassers traf sein Gesicht und stach wie tausend bösartige Insekten. Böser Jason, zischte dasWasser.
Böserjason. Böserjason. Böserjason.
Das alles hat
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