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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Fliegen mit einer Klappe: Sie kann edel und
    aufgeschlossen und ach so verständnisvoll sein und gleichzeitig mit dir in die Koje hüpfen.«
    »Herrgott noch mal, Mattie –« »Wie heißt sie übrigens?«
    Mattie sah ein kurzes Flackern in Jakes Augen, erkannte es als ein Zeichen der Unschlüssigkeit. Sollte er es ihr sagen oder doch lieber nicht? Würde es irgendetwas nützen? Würde es ihm zugute kommen?
    Was würde sie mit der Information anfangen? Könnte sie sie gegen ihn verwenden?
    »Honey«, antwortete er leise.
    Und eine Sekunde lang glaubte Mattie, er hätte sie mit diesem Namen, der ein Kosename war, angesprochen. Sie spürte, wie sich ihr Körper ihm zuneigte, ihr Herz schneller klopfte , die Abwehrmauern zu bröckeln drohten.
    »Honey Novak.«
    »Was?«
    »Sie heißt Honey Novak«, sagte er, und Matties Körper erstarrte.
    »Honey«, sagte sie. »Das Honigplätzchen! Wie süß! Verzeih das
    Wortspiel«, fügte sie hinzu und lachte , kurz und bitter. Was war sie doch für eine Idiotin! Nur ein Augenblick eingebildeter Zärtlichkeit, und sie war bereit, die Waffen zu strecken, aufzugeben , sich hinzugeben, sich mit allem einverstanden zu erklären. »Ist das ihr richtiger Name?«
    »Soviel ich weiß, wurde sie in ihrer Kindheit so genannt , und der Name blieb an ihr hängen.«
    »Na klar, so was Klebriges muss ja an einem hängen bleiben. Honig
    bleibt hängen, weil Honig klebrig ist.« Wieder begann Mattie zu lachen, es klang schärfer, schriller als zuvor. »Das klebrige kleine
    Honigplätzchen«, sagte sie und versuchte, das Gelächter einzudämmen, suchte sich dagegen zu stemmen, dass es wuchs und wucherte, und sein Gift sich ausbreitete. Aber es war, als besäße das Gelächter ein eigenes Leben, als hätte etwas Fremdes von ihrem Körper Besitz ergriffen und bediente sich ihrer Lunge und ihres Mundes , um seine bösen Schwingungen in die Welt zu entsenden. Sie konnte nichts dagegen tun.
    Sie war seine Gefangene. »OGott«, schrie sie. »O Gott, o Gott, o Gott!«
    Und dann begann sie nach Luft zuschnappen , um Atem zu ringen, aber sie bekam keine Luft, sie konnte nicht atmen. Eine fremde Macht lachte und schrie und schnappte nach Luft und hustete und presste das Leben aus ihr heraus.
    Jake war augenblicklich auf den Beinen. Er umschloss sie mit beiden
    Armen und hielt sie fest, bis sie spürte , wie die grauenvollen Laute in ihrer Kehle erstarben, das Husten allmählich zum Stillstand kam, ihr Atem langsam wieder ruhig und regelmäßig wurde. Sofort entwand sie
    sich Jakes Armen, holte mehrmals tief Atem und fuhr mit dem
    Handrücken über ihre Nase. Wie lange noch, bis die Hände ihr den
    Dienst versagen würden? Sie spürte die Panik, die sich in ihrem Magen zusammenballte. Wie lange noch, bis sie nicht mehr fähig sein würde, sich selbst die Tränen aus dem Gesicht zu wischen? Sie ging zum Klavier in der anderen Ecke des Zimmers und schlug mit der flachen Hand
    krachend auf die Tasten. Heulender Missklang schoss in die Luft, eine schrille Kakophonie des Protests.
    »Verdammt noch mal!«, schrie Mattie und senkte den Kopf.
    Einen Moment lang rührte sich keiner, und keiner sprach. Dann sagte
    Jake: »Kann ich dir irgendwas bringen?« Seine Stimme war ruhig, aber sein Gesicht hatte alle Farbe verloren.
    Mattie schüttelte den Kopf. Sie wagte nicht zu sprechen. Wenn sie
    jetzt spräche, würde sie eingestehen müssen, was sie beide schon
    wussten: dass an den Untersuchungsergebnissen nicht zu rütteln war, dass sie schon zu sterben begonnen hatte, dass Jake Recht hatte – alles hatte sich geändert.
    »Ich fliege im April nach Paris«, sagte sie schließlich.
    »Das ist gut.« Jakes äußere Ruhe widersprach der Verzweiflung in
    seinem Blick. »Ich komme mit.«
    »Du kommst mit?«
    »Ich war noch nie in Paris.«
    »Du wolltest doch nie hin. Du hattest nie die Zeit«, erinnerteMattie ihn. »Ich werde mir Zeit schaffen.«
    »Weil ich bald sterbe«, sagte Mattie ruhig, eine Feststellung, keine Frage.
    »Bitte, lass mich dir helfen, Mattie.«
    »Wie willst du mir helfen?« Mattie sah ihren Mann an. »Wer kann mir
    noch helfen?«
    »Lass mich nach Hause kommen« , sagte er.
    Mattie saß allein auf dem Sofa im Wohnzimmer , auf dem Platz, den vorher Jake innegehabt hatte, und versuchte , sich über diesen Nachmittag , über die letzte Woche , die vergangenen sechzehn Jahre klar zu werden. Was zum Teufel, dachte sie, wenn ich schon mal dabei bin, kann ich gleich die letzten sechsunddreißig Jahre unter die

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