Zaehme mich
nehmen würde, bis sie irgendwann krumme Dinger drehen musste, um den nächsten Schuss zu bezahlen; oder dass sie, restlos bedient von ihrem Dasein als ewige Einzelkämpferin, zu ihren Eltern zurückkehren und geduldig deren Scheiße einstecken würde, vorausgesetzt sie bezahlten ihre Studiengebühren und schenkten ihr zum Abschluss den traditionellen Trip zu den Antipoden in Europa. Die erste und die letzte Möglichkeit waren bloß lächerlich; mit den anderen hatte sie im Lauf der Jahre immer wieder kokettiert. Sie musste ständig auf der Hut sein, dass aus diesen Flirts keine echte Liebesbeziehung wurde. Sie musste hart arbeiten, um mehr als ein wandelndes Klischee zu sein.
Jamie wartete im Uni-Pub am üblichen Tisch auf Sarah.
Hier trafen sie sich jeden Tag zum Mittagessen. Sarah betrat das Gebäude der Wirtschaftswissenschaften höchstens, wenn sie Lust hatte, eine Jungfrau aufzureißen, und Jamie setzte keinen Fuß in den Literatur-Aufenthaltsraum, weil er überzeugt war, dass BWL-Studenten dort grundsätzlich für seelenlose Analphabeten gehalten wurden.
Nachdem sie sich ein Bier und eine Packung Zigaretten gekauft hatte, ging sie hinüber zu Jamie, der ein Cola schlürfte und in einem Schälchen Pommes herumstocherte.
»Ich hab dich gestern Nacht angerufen, als ich nach Hause gekommen bin«, sagte er. »Es war schon nach zwei.
Wo warst du denn?«
»Ich bin Amok gelaufen mit Andy dem Alki.« Sarah küsste ihn auf die Wange und setzte sich. »Über arbeitslose Säufer in mittlerem Alter kannst du sagen, was du willst, aber feiern können sie wirklich. Scheiße, ich glaube, in ganz Sydney gibt es kein Pub, in dem ich nichts getrunken habe, und keine Straße, auf die ich nicht gekotzt oder gepisst habe. Außerdem muss man einen Kerl einfach lieben, der nicht mal beim Ficken die Flasche loslässt.«
»Mein Gott, Sarah!« Jamie sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Warum machst du so was?«
Sie zuckte die Achseln. »Nostalgie de la boue.«
»Keine Ahnung, was das heißt. Interessiert mich auch gar nicht. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis dir einer von diesen Kerlen die Kehle durchschneidet, das weißt du ganz genau.«
Sarah verdrehte die Augen. Diesen Vortrag hielt ihr Jamie mindestens einmal pro Woche, auch wenn er ihr manchmal eine Kugel im Kopf oder einen Strumpf um den Hals statt einer aufgeschlitzten Kehle prophezeite. Sie wusste, dass er Recht hatte, aber er verstand eben nicht, dass es notwendig war. Um das höchste Glück zu erreichen, musste man ernste Gefahren auf sich nehmen.
»Leg dir doch wenigstens ein Handy zu. Dann ist es nicht mehr ganz so unsicher.«
»Gute Idee. Schaust du mal kurz weg, während ich mir das nötige Kleingeld aus den Rippen schneide?«
»Du musst ja nicht dein ganzes Geld für Alkohol und Zigaretten rausschmeißen.«
Ohne Jamies vorwurfsvollen Blick zu beachten, nahm Sarah einen Schluck Bier und zündete sich eine Zigarette an. »Im Ernst jetzt, ich mach die ganze Woche schon Extraschichten, und mir fehlen immer noch fünfzig Dollar für die Stromrechnung. Nächste Woche hab ich das Geld zusammen, aber wenn sie mir den Strom sperren, muss ich wieder für den Neuanschluss zah…«
Jamie legte einen Fünfzigdollarschein auf den Tisch.
»Hältst du dich an deinen Haushaltsplan?«
Sarah zuckte die Schultern. Jamie schrieb ihr mindestens alle sechs Monate einen neuen Haushaltsplan, und jedes Mal sagte sie ihm, dass es zwecklos war, doch er wollte es einfach nicht wahrhaben.
»Da stimmt doch was nicht … Ist deine Studienbeihilfe schon wieder gesunken oder was?«
»Keine Ahnung. Die geht doch sowieso immer weiter runter. Es ist viel weniger als das, was ich an der Highschool gekriegt habe, und schon damals hat es kaum für die Miete gereicht. Ohne die ständigen Überstunden wäre ich schon längst im Arsch.«
»Du weißt, Sar, Mums Angebot gilt noch immer.«
Seit sich die Wege von Sarah und ihren Eltern getrennt hatten, hatte Mrs. Wilkes ein Auge auf die Rolle von Sarahs Mutter geworfen. Und obwohl die Wilkes die großzügigsten Menschen waren, die sie kannte, und obwohl das freie Zimmer in ihrem Haus größer war als Sarahs ganze Wohnung, war sie nie ernsthaft in Versuchung geraten, Familienanschluss bei ihnen zu suchen. Zum einen waren sowohl Jamie als auch Brett Exliebhaber von ihr, und die Vorstellung, sie de facto als Brüder zu haben, war einfach gruslig. Außerdem war emotionaler Freiraum für sie noch wichtiger als unbeengter
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