Zaehme mich
Arbeit mit ihnen im Pub zu treffen.
Den ganzen Tag über bedauerte sie ihr Versprechen und kam in ziemlich schlechter Laune und ihrer stinkenden Uniform an. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich umzuziehen, weil sie sowieso damit rechnete, sich nur zu langweilen. Sie war erleichtert, dass Jamie gekommen war, nicht gerade glücklich, dass er Shelley mitgebracht hatte, und verblüfft, dass Jess’ Freund ziemlich scharf aussah.
Jetzt wünschte sie sich, sie hätte sich doch die Zeit zum Umziehen genommen.
»Endlich lernen wir uns kennen.« Mike nahm ihre Hand und küsste sie.
»Endlich? Ich weiß erst seit drei Tagen von deiner Existenz.«
Er hielt ihre Hand fest. »Aber ich weiß schon seit Monaten von dir. Jess redet die ganze Zeit nur über dich.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Sarah Jess an, die vor Glück strahlte: Na, schön für sie. Sie wandte sich wieder Mike zu. »Dann kann ich also davon ausgehen, dass du mich für eine zickige Schlampe mit einer total versifften Wohnung hältst.«
Er lachte. »Und stimmt das nicht?«
»Hin und wieder schon. Aber manchmal …« Sie entzog ihm ihre Hand und wirbelte um die eigene Achse. »… bin ich nur eine schwer schuftende Kellnerin, die dringend ein Glas kaltes Bier braucht.«
Mike beeilte sich, ihr das Gewünschte zu holen. Sarah nutzte die Gelegenheit, um sich lobend über Jess’ neuen Fang zu äußern.
»Ich mag diesen Typ«, sagte Jess. »Ich mag ihn wirklich sehr, sehr gern, verstehst du?«
»Das ist doch toll. Schön für dich.«
Jamie zog Sarah beiseite und beugte sich flüsternd zu ihr.
»Denk nicht mal dran.«
»Keine Ahnung, was du damit sagen willst.«
»Sarah, ich meine es ernst. Schau doch, wie glücklich Jess ist. Lass einfach die Hände von ihm – und auch sonst alle Körperteile.«
»Aber er ist so unwiderstehlich. Wie soll ich mich da zusammenreißen?«
»Das ist kein Witz.« Jamie zog die Augenbrauen zusammen, so wie er es immer machte, wenn er ernst und streng erscheinen wollte. Sarah hatte ihm nie gesagt, wie niedlich sie diesen Ausdruck fand, weil er sonst bestimmt damit aufgehört hätte. »Du kannst doch jeden Kerl haben, den du willst. Bloß den nicht.«
»Den da auch?« Sie deutete wahllos auf einen Betrunkenen, der zusammengesunken an seinem Tisch saß.
Endlich erschien ein Lächeln auf Jamies Lippen. »Klar, Sarah.«
»Danke, Mum.« Sarah küsste ihn auf die Wange. Sie spielte mit dem Gedanken, sich hinzusetzen und das Bier zu trinken, das ihr Mike gerade hingestellt hatte, aber sie wusste nicht, was sie mit einem gutaussehenden Fremden anderes anfangen sollte als flirten.
Sie angelte sich das Bier. »Danke. Also, ich würde ja gern noch bleiben und ein bisschen plaudern, aber Jamie hat gesagt, ich kann den Mann dort drüben haben.«
»Sarah! Das habe ich nicht …«
»Du hast es gesagt, Jamie-Boy, und das mach ich jetzt auch, darauf kannst du Gift nehmen.«
Betretenes Schweigen. Ein Gefühl von Stolz schwappte in ihr hoch, weil es den anderen die Sprache verschlagen hatte, doch dann folgte eine noch stärkere Welle der Furcht vor dem, was sie sich da vorgenommen hatte. Sie drehte sich um und steuerte auf den besagten Tisch zu. Der Mann starrte in sein fast leeres Glas. Er hatte fettige schwarze Haare, eine schiefe Nase und einen grau durchsetzten Stoppelbart. Warum nur, dachte Sarah, warum mache ich solche Sachen? Warum kann ich mich nicht einfach zu meinen Freunden setzen, etwas trinken, nach Hause gehen, mir die Zähne putzen und mich ins Bett legen? Warum muss ich immer …
»Das macht sie nicht wirklich, oder?« Mikes Stimme hinter ihr.
»Nie«, sagte Shelley. »Der Kerl ist doch so was von hässlich.«
Und dann hatte Sarah keine andere Wahl mehr, denn der Mann war wirklich hässlich, und da die Welt nun einmal so war, wie sie war, wollte bestimmt nie eine Frau mit ihm schlafen. Sarah wusste, dass sie hübsch war und dass sie ihre Hübschheit nicht mehr verdient hatte als der Mann seine Hässlichkeit. Es war nicht gerecht, dass er unbegehrt und unberührt durchs Leben gehen musste, während sich Sarah so oft begehren und berühren ließ, wie sie nur wollte.
Außerdem sieht Liebe mit dem Gemüt, nicht mit dem Auge
… drum nennt man ja den Gott der Liebe blind. Dieser Mann konnte genauso gut wie jeder andere derjenige sein, dem es gelang, den Kerker ihrer Seele zu sprengen.
3
Von Montag bis Freitag rang Sarah jeden Morgen mit der Frage, ob sie es sich leisten konnte, auch nur einen Tag an der Uni
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