Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
ins Hotel. Seine Entdeckung, dass er genauso wenig in sie verliebt war wie sie in ihn, hatte seine Leidenschaft für sie nicht verringert, sondern fast noch gesteigert. Jetzt, wo er wusste, dass er nicht tiefer in ihr Leben eindringen würde, wurde sie für ihn einfach die fremde Frau. Er vermutete, dass viele Männer auch nur das meinten, wenn sie behaupteten, dass sie verliebt waren. Kein wilder Absturz der Seele, bei dem alles in eine verdunkelnde Farbe getaucht wurde, wie damals bei Nicole. Bei manchen Gedanken über Nicole   – dass sie sterben, in geistige Umnachtung fallen oder einen anderen Mann lieben könnte   – wurde ihm heute noch körperlich schlecht.
    Nicotera saß in Rosemarys Suite und redete über irgendwelche beruflichen Dinge mit ihr. Als ihm Rosemary das Zeichen zum Aufbruch gab, zog er sich unter scheinbar scherzhaft gemeinten Protesten und mit einem eher unverschämten Zwinkern in Richtung Dicks zurück. Aber wie immer schrillte alsbald das Telefon, und zu Dicks wachsendem Unmut war Rosemary für weitere zehn Minuten beschäftigt.
    »Lass uns lieber nach oben zu mir gehen«, sagte er, und sie stimmte zu.
     
    Sie lag auf dem großen Sofa und hatte den Kopf auf seinen Knien, während er mit ihrem herrlichen Haar spielte.
    »Darf ich noch einmal neugierig sein?«, fragte er.
    »Was willst du wissen?«
    |333| »Was mit den Männern ist. Ich bin neugierig, um nicht zu sagen: geil, das zu wissen.«
    »Du meinst, wie lange, nachdem ich dich kennengelernt hatte?«
    »Oder auch vorher.«
    »Oh, nein.« Rosemary war schockiert. »Da war nichts vorher. Du warst der erste Mann, den ich gern hatte. Und du bist immer noch der Einzige, an dem mir wirklich etwas liegt.« Sie überlegte. »Ich glaube, es war ein Jahr. Ungefähr.«
    »Und wer war es?«
    »Ach, nur ein Mann.«
    Dieses Ausweichen ließ er nicht zu, sondern versuchte sie in die Enge zu treiben. »Ich wette, ich kann es dir sagen: Die erste Affäre war unbefriedigend, und danach gab es eine längere Pause. Die zweite war schon besser, aber du hast den Mann von Anfang an nicht geliebt. Die dritte war ganz in Ordnung   –« So quälte er sich immer weiter. »Dann hattest du eine richtig gute Affäre, aber die ist unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen, und um diese Zeit kam die Angst, dass du dem Mann, den du liebst, womöglich nichts mehr zu geben hast.« Er fühlte sich zunehmend viktorianischer. »Danach kamen ein halbes Dutzend episodischer Affären, und so ist es bis heute geblieben. Ist das nahe genug?«
    Sie lachte zwischen Belustigung und Tränen. »Es ist so falsch, wie es nur sein kann«, sagte sie zu Dicks Erleichterung. »Aber eines Tages werde ich jemanden finden und lieben und nie wieder gehen lassen.«
    Jetzt klingelte sein Telefon; Nicotera verlangte nach Rosemary. Dick legte die Hand auf den Hörer. »Willst du mit ihm reden?«
    |334| Sie ging ans Telefon und zwitscherte in einem schnellen Italienisch drauflos, das Dick nicht verstand.
    »Diese Telefoniererei kostet eine Menge Zeit«, sagte er. »Er ist schon nach vier, und um fünf Uhr habe ich eine Verabredung. Geh lieber gleich mit Signor Nicotera spielen.«
    »Sei nicht albern.«
    »Dann solltest du ihn aus dem Ring schicken, solange ich hier bin.«
    »Das ist nicht so leicht.« Plötzlich weinte sie. »Ich liebe dich, Dick, ich habe noch nie jemand so geliebt. Aber was kannst du mir geben?«
    »Was kann Nicotera irgendwem geben?«
    »Das ist etwas anderes.«
    ›Weil Jugend zu Jugend kommt‹, dachte er.
    »Dieser affige Itaker!«, sagte er, rasend vor Eifersucht. Er wollte nicht wieder verletzt werden.
    »Er ist bloß ein kleiner Junge«, sagte sie schniefend. »Du weißt doch, zuerst gehöre ich dir.«
    Er schloss die Arme um sie, aber sie ließ sich bloß müde fallen, und so war seine Umarmung wie das Ende eines Adagios. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihre Haare hingen herunter wie die eines ertrunkenen Mädchens.
    »Dick, lass mich gehen. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so durcheinander.«
    Er war plötzlich nur noch ein wütender roter Zornvogel, und die verständnisvolle Behutsamkeit, in der sie sich geborgen fühlte, war hinter seiner bösen Eifersucht völlig verschwunden. Instinktiv zog sie sich zurück.
    »Ich will die Wahrheit wissen«, erklärte er.
    »Na, gut. Wir sind viel zusammen. Er will mich heiraten, aber ich will nicht. Na und? Was erwartest du von mir? Du |335| hast mich nie gefragt, ob ich dich heiraten will. Willst du, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher