Zaertlich ist die Nacht
meine Zeit mit Schwachköpfen wie Collis Clay vertrödele?«
»Warst du gestern Abend mit Nicotera zusammen?«
»Das geht dich nichts an,« schluchzte sie. »Entschuldige, Dick. Natürlich geht es dich etwas an. Du und Mutter, ihr seid die beiden einzigen Menschen auf der Welt, die mir etwas bedeuten.«
»Und was ist mit Nicotera?«
»Woher soll ich das wissen?« Sie war jetzt von jener Unerreichbarkeit, bei der jede auch noch so beiläufige Bemerkung eine verborgene Bedeutung erhält.
»Ist es so wie damals mit mir in Paris?«
»Ich bin glücklich, wenn ich mit dir zusammen bin. In Paris war es anders. Aber man weiß ja nie, was man einmal gefühlt hat, nicht wahr?«
Er stand auf und legte seinen Abendanzug zurecht – auch wenn er alle Bitterkeit und allen Hass der Welt in sein Herz lassen musste – er würde sich nicht wieder in sie verlieben.
»Nicotera ist mir egal!«, behauptete sie. »Aber ich muss morgen mit dem Team nach Livorno. Ach, warum musste das jetzt passieren?« Eine neue Flut von Tränen. »Es ist so schade. Warum bist du hergekommen? Warum konnten wir nicht einfach an der Erinnerung festhalten? Ich fühle mich, als hätte ich mit meiner Mutter gestritten.«
Als er anfing, sich anzukleiden, stand sie auf und ging zur Tür.
»Ich gehe heute Abend nicht zu der Party.« Es war ihr letzter Versuch. »Ich bleibe bei dir. Ich will sowieso nicht hingehen.«
Die Flut kehrte wieder, aber jetzt zog er sich zurück.
|336| »Ich bin dann in meinem Zimmer«, sagte sie. »Leb wohl, Dick.«
»Leb wohl.«
»Ach, es ist so schade, so schade. So eine Schande! Warum tun wir das alles?«
»Die Frage stelle ich mir schon lange.«
»Und warum kommst du jetzt damit zu mir?«
»Wahrscheinlich, weil ich der Schwarze Tod bin«, sagte er langsam. »Ich scheine den Leuten kein Glück mehr zu bringen.«
22
In der Bar des »Hotel Quirinal« saßen nach dem Abendessen vier Leute: ein teures italienisches Flittchen, das auf einem Barhocker balancierte und gegen das gelangweilte
»Sì … sì … sì …«
des Barkeepers anredete, ein hochnäsiger, blasser Ägypter, der einsam, aber zu schüchtern war, um mit der Schnepfe zu reden, und die beiden Amerikaner.
Dick nahm seine Umgebung stets mit großer Aufmerksamkeit wahr, während Collis Clay, dessen Apperzeptionsfähigkeit schon früh verkümmert war, nur die prägnantesten Eindrücke wahrnahm und ziemlich vage dahinlebte. Dementsprechend war es Dick, der redete, während Collis nur dasaß und zuhörte, wie ein Mann, der von einer milden Brise umweht wird.
Dick war von den Ereignissen des Nachmittags stark mitgenommen und ließ das an den Bewohnern Italiens aus. Dabei schaute er sich ständig in der Bar um, als ob er hoffte, dass ein Italiener seine Worte hörte und sich darüber ärgern würde.
|337| »Heute Nachmittag habe ich mit meiner Schwägerin im ›Excelsior‹ Tee getrunken. Wir hatten den letzten Tisch ergattert, und nach uns kamen zwei Männer, die vergeblich nach einem gesucht haben. Plötzlich kommt einer von ihnen zu uns und sagt: ›Ist dieser Tisch nicht für die Prinzessin Orsini reserviert?‹ – ›Da war kein Schild drauf‹, sage ich. Und er sagt: ›Ich glaube, dass er für die Prinzessin Orsini reserviert ist.‹ Also, ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte.«
»Und was hat er dann gemacht?«
»Na, er hat sich zurückgezogen.« Dick drehte sich auf seinem Stuhl um. »Ich mag diese Leute nicht. Vorgestern habe ich Rosemary zwei Minuten vor einem Laden stehen lassen, und schon marschiert ein Offizier vor ihr auf und ab und tippt sich an seine Mütze.«
»Ich weiß nicht«, sagte Collis nach einer Pause. »Ich bin lieber hier als in Paris, wo einem ständig die Taschendiebe das Geld klauen.«
Er hatte sich gut amüsiert und wollte sich den Spaß nicht verderben lassen.
»Ich weiß nicht«, wiederholte er. »Ich find’s gar nicht so schlecht hier.«
Dick hielt sich noch einmal das Bild vor Augen, das er in den letzten Tagen gewonnen hatte: Der Weg zum American Express an den wohlriechenden Konditoreien in der Via Nazionale vorbei, durch den stinkenden Tunnel zur Spanischen Treppe, wo sich seine Seele beim Anblick der Blumenverkäufer und des Hauses erhob, in dem Keats gestorben war. Eigentlich interessierte er sich nur für Menschen, und abgesehen vom Wetter wurden Orte ihm erst bewusst, wenn sie von konkreten Erlebnissen Farbe erhalten hatten. Rom war für ihn: das Ende seines Traums von Rosemary.
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