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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Uniform gesehen. Wir haben miteinander geredet, und ich hab mir nichts weiter dabei gedacht.« Er brach ab, weil er einen vertrauten Ausblick entdeckt hatte, dann fuhr er fort: »Aber weißt du, Franz, ich bin noch nicht so abgebrüht wie du; wenn ich so eine schöne Hülle sehe und daran denke, was darin vorgeht, dann tut es mir einfach leid. Das war auch schon alles   – bis dann die Briefe kamen.«
    »Es war das Beste, was ihr passieren konnte«, sagte Franz theatralisch. »Eine Übertragung der allerglücklichsten Sorte. Deswegen hab ich dich auch abgeholt, obwohl wir heute sehr viel zu tun haben. Ich möchte, dass wir uns gründlich unterhalten, ehe du sie besuchst. Ich habe sie zu verschiedenen Erledigungen nach Zürich geschickt.« Seine Stimme war voller Begeisterung. »Ich hab sie sogar ohne eine Schwester losgeschickt, zusammen mit einer Patientin, die weitaus labiler als sie ist. Ich bin ungeheuer stolz auf diesen Fall, den ich da mit deiner zufälligen Hilfe gelöst habe.«
    Der Wagen war der Uferstraße gefolgt und in eine fruchtbare Gegend mit Milchbauernhöfen, Weiden und châletgekrönten, niedrigen Hügeln gelangt. Die Sonne schwamm in einen blauen Himmelsozean hinaus, und plötzlich war es eine Schweizer Landschaft in Hochform   – angenehme Geräusche und Klänge und ein herzhafter, frischer Geruch nach Gesundheit und Freude.
    Professor Dohmlers Klinik bestand aus drei alten und zwei neuen Gebäuden zwischen einer kleinen Anhöhe und |186| dem Ufer des Sees. Vor zehn Jahren, bei ihrer Gründung, war sie die erste moderne Klinik für Geisteskrankheiten gewesen. Bei oberflächlichem Hinsehen wäre kein Laie darauf gekommen, dass es sich um eine Zufluchtsstätte für die seelisch Gebrochenen, Unausgereiften oder gefährlich Gestörten dieser Welt handelte, obwohl zwei der Gebäude mit rankengeschmückten Mauern von erheblicher Höhe gesichert waren. Einige Männer waren damit beschäftigt, Heu in der Sonne zu wenden, aber als sie in das Gelände der Klinik hineinfuhren, kam der Wagen immer öfter an Patienten mit ihren Krankenschwestern vorbei, die neben ihnen als weiße Fahnen im Park flatterten.
    Nachdem er ihn in sein Büro gebracht hatte, entschuldigte Franz sich für eine halbe Stunde. Dick wanderte im Raum herum und versuchte, sich aus dem Durcheinander auf dem Schreibtisch und den Büchern an den Wänden ein
    Bild von Franz zu machen, der nicht nur sämtliche Werke seines Vaters und Großvaters in seinem Bücherschrank aufbewahrte, sondern in schöner Schweizer Pietät auch ein großes, bräunliches Foto seiner beiden Vorfahren aufgehängt hatte. Das Zimmer war voller Rauch, und Dick stieß die Terrassentür auf, um die Sonne hereinzulassen. Plötzlich wandten sich seine Gedanken dem Mädchen zu, der Patientin.
    Er hatte über einen Zeitraum von acht Monaten etwa fünfzig Briefe von ihr erhalten. Der erste war noch sehr zaghaft gewesen, darin erklärte sie, dass sie aus Amerika gehört hätte, es gebe dort Mädchen, die an Soldaten schrieben, die sie gar nicht kannten. Von »Doctor Gregory« habe sie seinen Namen und seine Adresse erhalten, und sie hoffe, es sei ihm recht, wenn sie ihm gelegentlich gute Wünsche schicke und so weiter und so weiter.
    |187| Bis dahin war es leicht, den Ton zu erkennen   – er stammte aus
Daddy-Long-Legs
und
Molly-Make-Believe
, zwei frischen, gefühlvollen Briefromanen, die in den Staaten gerade in Mode waren. Aber damit endete die Ähnlichkeit auch schon.
    Es ließen sich zwei Phasen bei den Briefen unterscheiden. Die erste ging bis etwa zum Waffenstillstand und zeigte eindeutig krankhafte Züge, die zweite dagegen reichte von damals bis zur Gegenwart, war vollkommen normal und zeigte eine reiche, immer reifer werdende Persönlichkeit. Auf diese letztgenannten Briefe hatte Dick in den letzten öden Monaten in Bar-sur-Aube immer dringender gewartet   – aber auch aus den ersten Briefen hatte er mehr herausgelesen, als Gregorovius vermutet hätte.
     
    MON CAPITAINE:
    Ich fand, Sie waren so schön, als ich Sie in Ihrer Uniform sah. Dann dachte ich ›Je m’en fiche‹ auf französisch und deutsch. Sie fanden mich auch hübsch, aber das hatte ich schon, das hab ich lang genug ertragen müssen. Wenn Sie mit dieser miesen, kriminellen Einstellung hier wieder herkommen, statt mit dem, was ich von einem Gentleman erwarte, weil ich das so gelernt habe, dann helfe Ihnen der Himmel. Sie scheinen aber ruhiger zu sein als die anderen,
    [ 2 ] ganz weich wie eine

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