Zaertlich ist die Nacht
gibt, an den ich mich wenden könnte. Wenn diese Farce hier schon für eine Kranke wie mich so durchschaubar ist,
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dann muss sie für jemanden wie Sie erst recht offensichtlich sein. Die geistige Störung ist längst vorbei, und davon abgesehen bin ich vollständig gebrochen und gedemütigt – wenn es das denn war, was sie wollten. Meine Familie hat mich auf schändliche Weise verlassen. Die um Hilfe oder Mitleid zu bitten, hat keinen Sinn. Ich hab genug von alledem, es ruiniert meine Gesundheit und außerdem ist es bloße Zeitverschwendung, wenn man so tut, [ 2 ] als wäre das heilbar, was mit meinem Kopf ist.
Ich bin hier in dieser Quasi-Irrenanstalt, bloß weil es niemand für nötig hielt, mir die Wahrheit zu sagen. Wenn ich gewusst hätte, was los war, so wie ich es jetzt weiß, hätte ich es schon ausgehalten, denn ich bin ziemlich stark, aber diejenigen, die es hätten tun sollen, hielten es nicht für nötig, mich aufzuklären.
[ 3 ] Und jetzt, wo ich es weiß und einen hohen Preis für dieses Wissen bezahlt habe, sitzen sie mit ihrem Hundeleben herum und sagen, ich sollte weiter glauben, was ich geglaubt habe. Vor allem einer tut das, aber jetzt weiß ich es nun einmal.
Ich bin die ganze Zeit einsam, weit weg von meinen Freunden und meiner Familie auf der anderen Seite des Atlantiks laufe ich hier halb benebelt von Medikamenten herum. Wenn Sie mir eine Stellung als Dolmetscherin verschaffen könnten [ 4 ] (ich spreche Französisch und Deutsch wie eine Einheimische, mein Italienisch ist passabel und ich kann auch ein bisschen Spanisch), oder beim Roten Kreuz oder als Krankenschwester (da brauchte ich allerdings noch eine Ausbildung), wäre das ein großer Segen für mich.
|192| Und dann wieder:
Wenn Sie schon meine Erklärung dessen, was mit mir los ist, nicht akzeptieren wollen, könnten Sie mir wenigstens erklären, was Sie glauben, denn Sie haben ein freundliches Katzengesicht und ziehen nicht diese komische Miene, die hier Mode ist. Dr. Gregory hat mir einen Schnappschuss von Ihnen geschenkt, nicht so hübsch wie in Uniform, aber jünger.
MON CAPITAINE:
Es war schön, Ihre Postkarte zu erhalten. Ich freue mich, dass Sie so daran interessiert sind, Krankenschwestern für untauglich zu erklären – ja, ich habe Ihre Bemerkung sehr wohl verstanden. Ich habe nur, als wir uns kennenlernten, gedacht, dass Sie anders wären.
LIEBER CAPITAINE:
Ich denke heute das eine und morgen etwas anderes. Das ist, abgesehen von einem verrückten Trotz und einer gewissen Maßlosigkeit, eigentlich alles, was bei mir nicht stimmt. Jeden Psychiater, den Sie mir empfehlen, würde ich gern akzeptieren. Hier liegen sie in ihren Badewannen und singen
Play in Your Own Backyard
, als ob ich [
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] einen Hinterhof hätte, in dem ich spielen kann, oder irgendeine Hoffnung darauf, egal wohin ich auch schaue. Im Süßwarenladen hat es neulich wieder einer versucht, ich hätte den geilen Bock am liebsten mit den Gewichten erschlagen, aber sie haben mich festgehalten.
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Ich werde Ihnen jetzt nicht mehr schreiben, ich bin zu labil.
Dann kam ein Monat ohne Briefe, und dann die plötzliche Veränderung.
– Ich kehre langsam ins Leben zurück …
– Die Blumen heute und die Wolken …
– Der Krieg ist vorbei, und ich wusste kaum, dass es einen gegeben hat …
– Wie lieb Sie gewesen sind! Sie müssen sehr klug sein, hinter ihrem weißen Katzengesicht, auch wenn Sie auf dem Foto, das mir Dr. Gregory gegeben hat, gar nicht so aussehen …
– Heute bin ich nach Zürich gefahren, was für ein eigenartiges Gefühl, mal wieder in einer Stadt zu sein.
– Heute sind wir nach Bern gefahren, es war so nett mit den Uhren.
– Heute sind wir so hoch hinaufgestiegen, dass wir Edelweiß und Asphodill gefunden haben …
Danach wurden die Briefe seltener, aber er beantwortete sie alle. In einem hieß es:
Ich wünschte, es würde sich jemand in mich verlieben, wie es die Jungen früher getan haben, ehe ich krank wurde. Ich fürchte allerdings, es wird Jahre dauern, ehe ich wieder an so etwas denken kann.
Aber als Richards Antwort sich aus irgendeinem Grund verzögerte, folgte ein aufgeregter, besorgter Wirbel von Äußerungen wie: »Hoffentlich habe ich Sie nicht gelangweilt …«, » |194| Ich fürchte, ich habe angenommen …« oder: »Nachts denke ich immer, Sie könnten krank sein.« Das klang durchaus wie die Ängste einer Verliebten.
Dick hatte
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