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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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unwiderstehlichen Verführer hielt, hätte sich wohl nicht vorstellen können, dass sie so weit weg waren. Sie waren
so sorry, dear
; sie fuhren
in a taxi, honey
; sie bemerkten Unterschiede beim
Lächeln
und hatten sich in
Hindustan
getroffen. Kurz darauf hatten sie allerdings wohl gestritten, denn
nobody knew and nobody seemed to care
; und am Ende war einer gegangen und
left the other crying, only to feel blue, to feel sad
.
    Die dünnen Melodien, in denen eine verlorene Vergangenheit und Hoffnungen für die Zukunft verknüpft wurden, schwirrten hinaus in die Schweizer Nacht. Wenn das Grammofon schwieg, füllte eine Grille die Pausen und hielt die Szene mit ihrem eintönigen Zirpen zusammen. Schließlich hörte Nicole auf, das Grammofon aufzuziehen, und sang ihm stattdessen etwas vor:
    Lay a silver dollar
    On the ground
    And watch it roll
    Because it’s round   –
    |211| Als ihre reinen Lippen sich teilten, schwebte kein Atemhauch in der Luft. Dick stand abrupt auf.
    »Was ist los? Gefällt’s Ihnen nicht?«
    »Doch, natürlich.«
    »Das hat mir unsere Köchin zu Hause beigebracht:
    A woman never knows
    What a good man she’s got
    Til after she turns him down   …
    »Gefällt es Ihnen?« Sie lächelte ihn mit aller Kraft ihres Inneren an, versprach ihm aus tiefster Seele, dass er sie praktisch für nichts haben konnte, für das kleinste Entgegenkommen, für eine bestätigende Gefühlsregung. Aus den Weidenzweigen über ihr, aus der ganzen nächtlichen Welt schien sie von Minute zu Minute größere Süße zu ziehen.
    Sie stand jetzt ebenfalls auf, wobei sie über das Grammofon stolperte und sich für einen Moment an seine Schulter lehnen musste. »Eine Schallplatte habe ich noch«, sagte sie. »Kennen Sie ›So Long, Letty‹? Das haben Sie bestimmt schon gehört.«
    »Ehrlich, Sie verstehen nicht   – ich habe überhaupt nichts gehört.«
    Er hätte hinzufügen können: Ich kenne nichts, habe auch nichts gerochen oder geschmeckt   – außer Mädchen mit heißen Wangen in stickigen, heimlichen Zimmern. Die jungen Damen, die er 1914 in Yale kennengelernt hatte, sagten höchstens: »Da hast du, was du wolltest!« und hatten den jungen Männern beim Küssen immer die Hände gegen die Brust gestemmt, um sie gleich wegstoßen zu können. Und jetzt trat ihm dieses kaum gerettete Opfer eines Desasters |212| entgegen und wollte ihm die Essenz eines ganzen Kontinents schenken   …

6
    Es war Mai, als sie sich das nächste Mal sahen. Das Mittagessen in Zürich war eine heikle Veranstaltung; die Logik seines Lebens führte ihn weg von ihr; aber als sie ein Fremder vom Nachbartisch mit unergründlich brennenden Augen anstarrte, wandte er sich dem Mann mit höflicher Einschüchterung zu und zwang ihn, den Blick abzuwenden.
    »Das war nur ein Spanner«, sagte er munter. »Er hat bloß Ihr Kleid angestarrt. Warum haben Sie so viele Kleider?«
    »Meine Schwester sagt, wir wären sehr reich, seit unsere Großmutter tot ist«, sagte sie demütig.
    »Ich vergebe Ihnen.«
    Er war alt genug, um ihre jugendliche Freude und Eitelkeit zu genießen, wenn sie zum Beispiel beim Verlassen eines Restaurants für einen Sekundenbruchteil vor dem Spiegel verharrte, um sich vom unbestechlichen Quecksilber Bestätigung geben zu lassen. Er begrüßte es, dass sie jetzt, wo sie offenbar nicht nur schön, sondern auch reich war, die Reichweite ihrer Hände noch um einige Oktaven erweitern konnte. Die Vorstellung, dass
er
sie wieder zurechtgeflickt hätte, versuchte er ihr so gut es ging auszureden und freute sich ehrlich darüber, dass sie Fröhlichkeit und Selbstvertrauen auch unabhängig von ihm zu gewinnen schien. Das Problem bestand allerdings darin, dass Nicole ihm am Ende doch alles zu Füßen legte, Opfergaben von Ambrosia und Myrten der Anbetung.
    |213| In der ersten Sommerwoche war er wieder fest in Zürich verankert. Er hatte seine Aufsätze und die Arbeiten, die er während seiner militärischen Dienstzeit geschrieben hatte, so weit geordnet, dass er hoffen konnte, seine ›Psychopathologie für Psychiater‹ daraus zu komponieren. Er glaubte auch, einen Verleger dafür zu haben, und er hatte einen mittellosen Studenten gefunden, der sein Deutsch korrigieren würde. Franz fand das Unternehmen frivol, aber Dick erklärte ihm, das Thema sei doch von geradezu entwaffnender Bescheidenheit.
    »Über diese Sachen werd ich nie wieder so gut Bescheid wissen«, sagte er. »Ich glaube, das Problem wird bloß deshalb nicht weiter

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