Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
diesmal nicht scherzte. »Das ist gut   – und sehr amerikanisch«, sagte er. »Für uns ist es viel schwerer.« Er stand |205| auf und ging zur Terrassentür. »Ich stehe hier und sehe hinüber nach Zürich   – da steht der Turm vom Grossmünster, in dessen Krypta mein Großvater liegt. Auf der anderen Seite der Brücke liegt Lavater, ein anderer Vorfahr von mir, der nicht in einer Kirche begraben sein wollte. In der Nähe steht das Denkmal für Heinrich Pestalozzi, ein weiterer Vorfahr, und ein Denkmal von Alfred Escher. Und über alledem schwebt natürlich noch Zwingli   – ich bin ständig von einem Pantheon der Heroen umgeben.«
    »Ja, ich verstehe.« Dick stand auf. »Ich habe nur angegeben. Für mich fängt jetzt alles erst an. Die meisten Amerikaner in Frankreich sind wild darauf, wieder nach Hause zu kommen, ich nicht. Ich kriege meinen Sold bis zum Ende des Jahres, wenn ich die Vorlesungen an der Universität höre. Ist das nicht ein gutes Zeichen, wenn eine Regierung ihre künftigen Geistesriesen im großen Stil fördert? Danach fahre ich für einen Monat zu meinem Vater nach Hause   – und dann komme ich wieder zurück. Man hat mir einen Job angeboten.«
    »Wo denn?«
    »Bei eurer Konkurrenz   – Gislers Klinik in Interlaken.«
    »Geh da bloß nicht hin«, sagte Franz. »Die haben in einem Jahr mehr als ein Dutzend junge Männer verschlissen. Gisler ist manisch-depressiv, seine Frau und ihr Liebhaber leiten die Klinik   – das muss natürlich unter uns bleiben, verstehst du?«
    »Und was ist mit unseren Amerika-Plänen?«, fragte Dick obenhin. »Wir wollten doch nach New York gehen und eine topmoderne Klinik für Milliardäre aufmachen?«
    »Ach, das war doch nur so Studentengerede.«
    Dick aß mit Franz und seiner Braut und einem kleinen Hund, der nach verbranntem Gummi roch, in ihrem Häuschen |206| am Rand des Geländes zu Abend. Er war ein bisschen deprimiert, nicht wegen der Atmospäre bescheidener Häuslichkeit, und auch nicht wegen der Frau Gregorovius, die ziemlich genauso war, wie er gedacht hatte, sondern wegen des jäh verengten Horizonts, mit dem Franz sich zufrieden gab. Für ihn waren die Grenzen einer asketischen Lebensweise anders definiert   – er sah sie als Mittel zum Zweck, ja sie konnte sogar per se etwas Ruhmvolles sein, aber es fiel ihm schwer sich vorzustellen, dass man sein Leben absichtlich auf die Maße eines geerbten Anzugs zurechtstutzte. Franz und seine Frau ließen Anmut und Abenteuer schmerzlich vermissen, als sie sich mit häuslichen Gesten in dieser beengten Umgebung bewegten. Die ersten Nachkriegsmonate in Frankreich und die üppigen Trinkgelage im Glanz des amerikanischen Sieges hatten Dicks Perspektive verschoben. Männer wie Frauen hatten ihn sehr umworben, und was ihn ins Zentrum der großen Schweizer Uhr zurückgebracht hatte, war womöglich die Ahnung, dass gerade das vielleicht gar nicht so gut für einen seriösen Mann war.
    Er gab Käthe Gregorovius das Gefühl, dass sie eine reizende Person war, während er sich zunehmend mit dem alles durchdringenden Blumenkohlgeruch quälte   – und sich gleichzeitig für seine beginnende Oberflächlichkeit hasste.
    »Gott, bin ich womöglich doch genauso wie alle anderen?«, dachte er oft, wenn er nachts aus dem Schlaf hochfuhr. »Bin ich genau wie die anderen?«
    Einen guten Sozialisten konnte man aus diesem Material nicht machen, vielleicht aber einen von jenen Menschen, die ganz außergewöhnliche Dinge vollbringen. Die Wahrheit war die, dass er sich seit einigen Monaten in der Phase befand, wo die Schätze der Jugend aufgeteilt werden und |207| die Entscheidung fällt, ob man wirklich noch für etwas sterben will, woran man ohnehin nicht mehr glaubt. In den toten weißen Stunden seiner Züricher Nächte starrte er über das Licht einer Straßenlaterne hinweg in die Küche einer Fremden und dachte darüber nach, dass er gut, freundlich, tapfer und klug sein wollte und dass doch alles recht schwierig war. Auch geliebt werden wollte er, wenn es sich irgendwie einrichten ließ.

5
    Die Terrasse des Hauptgebäudes wurde von den geöffneten Verandatüren hell erleuchtet, nur die schwarzen Schatten der Spaliere und fantastischen eisernen Stühle reichten hinunter bis in das Gladiolenbeet. Unter den Gestalten, die sich in den Räumen bewegten, wurde Miss Warren erkennbar, erst schemenhaft, dann scharf umrissen, als sie ihn entdeckte. Als sie die Schwelle überschritt, fing ihr Gesicht das helle Licht des

Weitere Kostenlose Bücher