Zaertlich ist die Nacht
milde. »Und Sie, Doktor Diver, sind es jetzt, der uns helfen kann.«
Aus seiner sicheren Stellung vertrieben, musste Dick zugeben: »Ich weiß selbst nicht genau, wo ich stehe.«
»Ihre persönlichen Gefühle gehen mich nichts an«, sagte Dohmler. »Aber es geht mich sehr viel an, dass diese sogenannte ›Übertragung‹« – er warf Franz einen kurzen ironischen Blick zu, den dieser entsprechend beantwortete – »beendet werden muss. Miss Nicole entwickelt sich sehr gut, aber sie ist in keiner Verfassung, um etwas zu überleben, was sie womöglich für eine Tragödie hält.«
Erneut wollte Franz etwas sagen, aber Professor Dohmler brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Ich verstehe, dass Ihre Lage schwierig gewesen ist.«
»Ja, das war sie.«
Jetzt lehnte sich der Professor zurück und lachte. Seine scharfen, kleinen grauen Augen funkelten, als er an sein Lachen die Frage anschloss: »Sie haben sich womöglich selbst ein bisschen verguckt?«
Dick spürte, dass man ihn aufzog, und deshalb lachte er mit. »Sie ist ein hübsches Mädchen. Darauf reagiert jeder bis zu einem gewissen Punkt. Ich habe nicht die Absicht ——«
Erneut versuchte Franz etwas zu sagen, aber Dohmler stoppte ihn mit einer direkten Frage an Dick. »Haben Sie schon mal daran gedacht, wegzugehen?«
»Ich kann nicht weggehen.«
Jetzt wandte sich Dohmler an Franz: »Dann können wir Miss Warren wegschicken.«
»Was immer Sie für richtig halten, Herr Professor«, sagte Dick. »Es ist tatsächlich eine Situation.«
|217| Dohmler richtete sich auf, wie sich ein Beinamputierter auf seine Krücken erhebt. »Aber es ist eine
professionelle
Situation«, rief er laut. Dann ließ er sich seufzend in seinen Sessel zurücksinken und wartete darauf, dass der widerhallende Donner im Raum erstarb. Dick sah, dass Dohmler den Höhepunkt seiner Ausführungen überschritten hatte, wusste aber nicht genau, ob er selbst diesen Höhepunkt überlebt hatte.
Als der Widerhall sich gelegt hatte, gelang es Franz, etwas zu sagen. »Doktor Diver ist ein Mann von Charakter. Ich glaube, er muss die Situation nur richtig einschätzen, um sich korrekt damit auseinanderzusetzen. Meiner Meinung nach kann Dick mit uns zusammenarbeiten, ohne dass irgendjemand hier weg muss.«
»Was sagen Sie dazu?«, fragte Dohmler.
Dick fühlte sich wie ein Schuft angesichts der Situation; aber das Schweigen nach Dohmlers Ausbruch hatte ihm klargemacht, dass er seinen Zustand der Schockstarre nicht unbegrenzt aufrechterhalten konnte, und plötzlich musste alles heraus.
»Ich bin halb und halb in sie verliebt«, gab er zu. »Ich habe mich sogar schon gefragt, ob ich sie heiraten soll.«
»Ts, ts!«, machte Franz.
»Warten Sie!«, ermahnte ihn Dohmler, aber Franz ließ sich nicht stoppen.
»Was?«, rief er. »Willst du dein halbes Leben damit verbringen, Arzt und Krankenschwester und sonst noch was alles für sie zu sein? Niemals! Ich kenne solche Fälle. Meistens geht das beim ersten Stoß in die Brüche. Da ist es besser, sie nie wieder zu sehen!«
»Und was meinen Sie?«, fragte Dohmler.
»Franz hat natürlich recht.«
|218| 7
Es war bereits später Nachmittag, als sie ihre Diskussion darüber, was jetzt zu tun war, schließlich beendeten. Dick sollte, so wurde beschlossen, sehr freundlich sein, sich zugleich aber völlig zurückziehen. Als die Ärzte schließlich aufstanden, sah Dick, dass draußen ein leichter Regen fiel, und irgendwo in diesem Regen wartete Nicole.
Als er hinausging, knöpfte er seinen Regenmantel bis zum Hals zu und zog die Krempe seines Hutes herunter. Nicole traf er gleich unter dem Vordach des Haupteingangs an.
»Ich weiß einen neuen Ort, wo wir hingehen können«, sagte sie. »Als ich noch krank war, machte es mir nichts aus, abends mit den anderen da drinnen zu sitzen. Was sie gesagt haben, schien ganz normal. Jetzt sehe ich sie natürlich alle als Kranke, und es ist – es ist –«
»Sie werden bald hier weggehen.«
»Ja, bald. Meine Schwester Elisabeth – aber wir haben sie immer nur Baby genannt – kommt in ein paar Wochen, um mit mir irgendwo hinzufahren; danach werde ich noch mal für einen Monat hierher zurückkommen.«
»Das ist Ihre ältere Schwester?«
»Oh ja, sie ist ein ganzes Stück älter. Sie ist vierundzwanzig – sie ist sehr englisch. Sie lebt bei der Schwester meines Vaters in London. Sie war mit einem Engländer verlobt, aber der ist gefallen. Ich hab ihn nie kennengelernt.«
Ihr
Weitere Kostenlose Bücher