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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Musikzimmers ein und brachte es mit nach draußen. Sie ging im Rhythmus einer inneren Melodie   – die ganze Woche schon hatte sie einen Gesang gehört, Sommerlieder von brennenden Himmeln und wilden Schatten, und seit seiner Ankunft war der Gesang so laut, dass sie ohne Weiteres hätte mitsingen können.
    »Guten Abend, Captain«, sagte sie und löste ihre Blicke mit so viel Mühe von seinen, dass man glauben konnte, sie hätten sich ineinander verfangen. »Wollen wir uns hier draußen hinsetzen?« Sie stand still und ihre Augen bewegten sich hin und her. »Es ist ja schon beinahe Sommer.«
    Eine plumpe Frau mit einer Stola war ihr gefolgt. Nicole stellte Dick vor: »Señora   –«
    |208| Franz entschuldigte sich, und Dick stellte drei Stühle zusammen.
    »So eine schöne Nacht«, sagte die Señora.
    »Muy bella«
, stimmte Nicole zu; dann zu Dick: »Sind Sie längere Zeit hier?«
    »In Zürich werde ich lange sein, wenn Sie das meinen.«
    »Das ist der erste Abend, wo es richtig Frühling ist«, sagte die Señora.
    »Für immer?«
    »Zumindest bis Juli.«
    »Ich gehe im Juni hier weg.«
    »Der Juni ist ein schöner Monat hier«, erläuterte die Señora. »Sie sollten im Juni noch hier bleiben und erst im Juli fahren, wenn es wirklich zu heiß wird.«
    »Und wo werden Sie hinfahren?«, fragte Dick das junge Mädchen.
    »Ich fahre mit meiner Schwester   – ich hoffe irgendwohin, wo es aufregend ist. Ich habe ja so viel Zeit versäumt. Aber wahrscheinlich denken sie, ich sollte erst mal irgendwohin fahren, wo es ruhiger ist   – Como vielleicht. Warum kommen Sie nicht nach Como?«
    »Ach, Como   –«, fing die Señora an.
    Das Trio im Inneren des Gebäudes fing an, die Ouvertüre zur ›Leichten Kavallerie‹ von Franz von Suppé rauszudonnern. Nicole benutzte die Gelegenheit, um aufzustehen, und ihre Jugend und Schönheit packte Dick wie eine Flutwelle. Ein rührendes, kindliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das Lächeln aller verlorenen Jugend auf dieser Welt.
    »Die Musik ist wirklich zu laut, um sich zu unterhalten   – ich glaube, wir gehen ein bisschen spazieren.
Buenas noches, Señora.
«
    |209| »Gute Nacht   – gute Nacht.«
    Sie gingen die beiden Stufen hinunter, und als der Gartenweg in den Schatten führte, nahm sie seinen Arm.
    »Meine Schwester hat mir ein paar Platten aus Amerika geschickt«, sagte sie. »Wenn Sie das nächste Mal kommen, kann ich sie Ihnen vorspielen. Ich weiß, wo man das Grammofon aufstellen kann, ohne dass jemand uns hört.«
    »Das wäre nett.«
    »Kennen Sie ›Hindustan‹?«, fragte sie sehnsüchtig. »Ich kannte es noch gar nicht, aber es hat mir gleich gefallen. Und ›Why Do They Call Them Babies‹? habe ich auch und ›I’m Glad I Can Make You Cry‹. Ich vermute, Sie haben in Paris zu all diesen Liedern getanzt?«
    »Ich war noch nie in Paris.«
    Ihr cremefarbenes Kleid, das mal blau und mal grau schimmerte, und ihr sehr blondes Haar blendeten Dick. Jedes Mal, wenn er sich zu ihr umwandte, lächelte sie ein wenig, und ihr Gesicht begann zu leuchten wie das eines Engels, wenn sie in den Lichtkegel einer Laterne gerieten. Sie dankte ihm für alles, als hätte er sie zu einer Party mitgenommen, und während Dick immer weniger wusste, in welcher Beziehung er zu ihr stand, schien sie immer mutiger zu werden   – die Begeisterung der ganzen Welt schien sie zu umgeben.
    »Ich unterliege keinerlei Beschränkungen«, sagte sie. »Ich werde Ihnen zwei schöne Songs vorspielen. Einer heißt ›Wait Till the Cows Come Home‹ und der andere ›Good-bye, Alexander‹.«
     
    Das nächste Mal, eine Woche danach, kam er zu spät, und Nicole wartete schon auf ihn. Sie stand an der Stelle, wo er vorbeikommen musste, wenn er von Franz kam. Sie hatte |210| sich die Haare hinter die Ohren gekämmt, sodass ihr Gesicht gerade daraus entsprungen zu sein schien, so als wäre dies der Augenblick, an dem sie zwischen den Bäumen ins helle Mondlicht heraustrat. Das Unbekannte hatte sie freigegeben, und Dick wünschte sich, sie hätte gar keine Familie und keine Vergangenheit, sondern wäre nur ein kleines Mädchen, das sich verlaufen und keine andere Adresse als die Nacht hatte, aus der sie kam. Sie holten das Grammofon aus seinem Versteck, gingen an der Werkstatt vorbei, kletterten auf einen Felsen und setzten sich hinter eine niedrige Mauer. Vor ihnen lagen endlose Meilen nächtlicher Landschaft.
    Sie waren jetzt in Amerika, und selbst Franz, der Dick für einen

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