Zärtliche Wildnis
er sich nicht einmischen soll. Auf Wiedersehen, und versuche, dich ein bißchen zu amüsieren. Ruf mich an, sobald du zurück bist, damit ich dich gleich besuchen kann.«
Damit rannte sie davon, vergoß noch einige Tränen in der Toilette, ehe sie sich das Gesicht wusch und auf die Station zurückkehrte, ihre Patienten anlächelte und sagte: »Ist das heute nicht ein herrlicher Tag?«
Niedergeschlagen fuhr Liz nach Hause. Pirate gab seiner Teilnahme Ausdruck, indem er in regelmäßigen Abständen ihr Ohr leckte. Ihr graute bei dem Gedanken, sich am nächsten Tag von ihm trennen zu müssen. Sie konnte nur hoffen, daß man im Heim gut zu ihm sein würde. Die Frau, mit der sie telefoniert hatte, war einigermaßen aus der Fassung gewesen. »Ein Boxer?« hatte sie wiederholt. »Ach, du lieber Gott, das sind ja Riesenhunde, nicht wahr?« Der Gedanke, daß sie gezwungen war, ihn zu Gefangenschaft zu verdammen, bekümmerte sie tief, aber sie konnte keinen ihrer Freunde bitten, ihn aufzunehmen. Janet, das wußte sie, hätte darauf bestanden, den Hund zu versorgen, doch bei dem Gedanken, daß Pirate frei in der Nähe einer Durchgangsstraße herumlief, hätte sie keine ruhige Minute gehabt. Deshalb streichelte sie jetzt immer wieder sein Gesicht und versicherte ihm, daß sie zwar einige Tage wegfahren, ihn aber ganz bestimmt bald, bald wieder zu sich holen würde. Er sabberte ein wenig und winselte, und sie fragte sich, was sie tun sollte, wenn die Reise vorbei war. Sie würde einfach irgendwohin gehen, wo eine Frau mit einem Hund willkommen war, und solche Orte mußte es geben, wenn man einen Preis zahlte, der hoch genug war.
Die beiden letzten Tage krochen langsam dahin. Zum erstenmal in ihrem Leben schlief Liz schlecht, und wenn sie sich auch immer wieder sagte, daß gar nicht damit zu rechnen war, lauschte sie doch unablässig auf das Läuten des Telefons und schoß wie der Blitz an den Apparat, nur um Jessies Stimme zu hören, die sie daran erinnern wollte, eine Decke mitzunehmen, oder Janet, die ihr ankündigte, daß die Jungen vorbeikommen würden, um ihr beim Packen des Wagens zu helfen und den Hausschlüssel abzuholen, den Janet in Verwahrung nehmen wollte. Sie fuhren ein wenig verlegen vor, weil sie ein schlechtes Gewissen hatten, Liz um der beiden Lernschwestern willen die Treue gebrochen zu haben, zugleich jedoch froh darüber, daß Liz, wie sie meinten, ihr Glück gefunden hatte. Sie brauchte sie nicht, ließ sie jedoch mit Fensterriegeln und Schlössern hantieren und auf der Straße vor ihrem Haus stehen und ihr zum Abschied zuwinken.
»Und nie zuvor«, sagte sie zu Pirate, »habe ich es so eilig gehabt, ein Haus zu verlassen.«
Es war kaum zu glauben, dachte sie, daß sie in ihrem kleinen Haus so unglücklich hatte sein können, und daß sie nun so froh war, es endlich zu verlassen. Das Bewußtsein, daß sie mit jedem Kilometer, mit dem sie sich weiter von dem Haus entfernte, ruhiger und glücklicher wurde, veranlaßte sie, sich die Frage zu stellen, ob es nicht doch klüger gewesen wäre, die Mütter zu enttäuschen, den Kindergarten aufzugeben und mit Pirate fortzugehen.
»Aber ich habe das Gefühl«, sagte sie zu dem Hund, »daß er die Farm verkaufen wird und ich ihn nie Wiedersehen werde.«
Pirate legte seinen Kopf auf ihre Schulter und sabberte auf den alten Mantel, den sie immer trug, wenn er mit im Wagen saß.
Die Fahrt erschien ihr endlos und machte keine Freude. Als sie einen Blick auf Pirate warf, hätte sie beinahe gelacht. Er war genauso unglücklich wie sie. Ich kann nur hoffen, daß ich nicht so aussehe wie er, dachte sie. Es war schrecklich, ihn in dem Heim lassen zu müssen, wo man ihn freundlich, aber mit beträchtlicher Ehrfurcht aufnahm. Sie wünschte, sie hätte sich nicht auf diese Reise eingelassen. Sein jämmerliches Jaulen verfolgte sie noch, als sie abfuhr.
Die Gesellschaft hatte sich in einem ruhigen Motel mit erschwinglichen Preisen versammelt, und Liz stellte fest, daß sie mit Moira und Jessie zusammen ein Häuschen bewohnte.
»Genau wie das letzte Mal«, meinte Jessie vergnügt, »nur ein bißchen komfortabler als das alte Haus.«
»Es ist noch gar nicht so lange her«, sagte Moira, »aber was ist inzwischen alles geschehen, Liz.«
Liz nickte nur.
»Schade«, fuhr Jessie fort, »daß Ihr Verlobter nicht kommen konnte. Im Bus ist nämlich noch ein Platz frei. Mit ihm zusammen hätte Ihnen die Reise sicher doppelt soviel Spaß gemacht. Aber, naja, ich kann mir vorstellen,
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