Zärtlicher Eroberer
Pistole.
Philippa stieß einen Warnschrei aus. Mit unglaublicher Geschwindigkeit packte Valerian Luciens Hand, in der er die Pistole hielt, und versuchte sie ihm zu entreißen. Doch die Waffe war entsichert und somit unberechenbar. Ein Schuss löste sich, und beide Männer blieben regungslos liegen.
„Hilfe! So helft doch!“ Philippa war augenblicklich bei Valerian und zog ihn von Lucien herunter. „Nein, nein, nein!“ Überall war Blut, auf seinem Gesicht, seinem Hemd – es konnte nicht nur von Lucien stammen. „Val, bitte, wach auf!“
„Ich bin wach“, stöhnte Valerian.
„Bist du verletzt?“ Fieberhaft und voller Angst begann sie ihn abzutasten.
„Mylady, es ist der andere“, sagte der befehlshabende Konstabler ruhig und winkte seine Leute zu Luciens immer noch reglosem Körper. „Er hat die Kugel abbekommen.“ Der Konstabler schüttelte den Kopf. „Er ist tot.“
Valerian setzte sich mühsam auf. „Ist mit dir alles in Ordnung, Philippa?“
„Ja, es geht mir gut, uns beiden geht es gut“, versicherte sie, aber sie zitterte am ganzen Leib und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Plötzlich wurde ihr alles zu viel. Lucien war vor ihren Augen gestorben. Im einen Moment hatte er sich noch lebend unter ihnen befunden, im nächsten hatte er einfach aufgehört zu existieren. Es hätte genauso leicht Valerian treffen können. Dann spürte sie Valerians Arme um sich, während er leise und tröstend auf sie einredete.
Der Konstabler war sehr gewissenhaft, deshalb dauerte es einige Stunden, die letzten Unklarheiten zu beseitigen und die Aussagen zu Protokoll zu nehmen. Um neun Uhr klappte er sein Notizbuch zu. „Wir haben jetzt alles, was wir brauchen, Mylord. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld, Sie können jetzt nach Hause gehen. Wenn wir noch etwas benötigen, melden wir uns bei Ihnen.“
Philippa ließ sich von Valerian zu seiner Kutsche führen, die vor Luciens Stadtvilla gewartet hatte. Sie hatten die Vorfälle so oft wiederholen und beschreiben müssen, dass Philippa den Abend wie in einer Art Trance verbracht hatte. Erst jetzt war sie dazu in der Lage, die entsetzlichen Eindrücke zurückzudrängen und ein erstes Glücksgefühl in sich aufkommen zu lassen. Valerian war frei. Die letzte Bedrohung, die ihrem Glück im Wege gestanden hatte, war nicht mehr existent.
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. „Was sollen wir jetzt machen, nach all der Aufregung?“
Er sah sie lächelnd an, und seine grünen Augen begannen zu leuchten. „Wir fahren nach Hause.“
„Wie lange ich auf diese Worte gewartet habe.“
„Genauso lange wie ich darauf gewartet habe, sie endlich aussprechen zu können.“ Er küsste sie zärtlich und hielt sie fest im Arm.
Sie mochten noch ein paar Tagesreisen von Roseland entfernt sein, aber Philippa wusste, sie war längst zu Hause angekommen.
EPILOG
1. Januar 1831
Valerian Inglemoore, Viscount St. Just, hatte ein Geheimnis, ein beglückendes Geheimnis, das ihn unentwegt lächeln ließ, als er mit seiner Frau und seinem vier Wochen alten Sohn vor der versammelten Kirchengemeinde von St. Justus stand, um sein Kind taufen zu lassen. Er war hoffnungslos verliebt in seine Frau und sie in ihn.
Aber das war nicht das Geheimnis. Er hätte seine Verliebtheit ohnehin nicht lange vor den anderen verbergen können – wenn es um Philippa und seine neue Familie ging, trug er das Herz auf der Zunge. Valerian blickte zur ersten Reihe hinüber, wo Lilya und Konstantin Platz genommen hatten. Innerhalb von nur einem Jahr war er ein Ehemann und Vater zweier Jungen und einer wunderhübschen Tochter geworden, die sich auf ihr Debüt im kommenden Frühjahr vorbereitete.
Sein Leben war reich und erfüllt. Doch das war ebenfalls nicht das Geheimnis.
Vor genau einem Jahr, am Silvesterabend, hatte er sich heimlich geschworen, Philippa den Hof zu machen und ihr Vertrauen zurückzugewinnen, damit sein Leben endlich vollkommen war. Und das war sein Geheimnis.
Sein Vorsatz hatte sich erfüllt, auch wenn der Weg voller Hindernisse war. Er und Philippa hatten zum Wohl ihrer Liebe mit der Vergangenheit und der Gegenwart gerungen. Nun gab es keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen.
Philippa reichte ihm seinen Sohn, ein winziges Bündel aus Spitzendecken und dunklem Haarflaum. Valerian gab das Baby an Beldon weiter, der Pate des kleinen Aidan Alexis war. Ohne zu stocken legte er seine Gelübde als Pate ab, dann war die Feier zu Ende.
Anschließend scharten sich alle Gäste um den
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