Zärtlicher Eroberer
dass sie diese Farce durchschaute.
Er beobachte, wie ihre Miene kalt wurde, und Verzweiflung wich Zorn. Ihre Augen begannen vor Wut zu funkeln, als sie langsam die Schlussfolgerungen zog, die sie hatte ziehen sollen. „Ein Abenteuer? Das war alles nur ein Spiel für dich? Das Ganze war nur eine Lüge?“, stieß sie mit bebender Stimme hervor. Plötzliches Begreifen überschattete ihr Gesicht, wie Wolken, die sich vor die Sonne schoben. Er wünschte, er hätte sie nicht so gut gekannt, denn so ahnte er, was in ihr vorging. Ihr blasses Gesicht spiegelte Zweifel und Schmerz wider. Er wusste, sie glaubte jetzt, dass jeder wissende Blick, jeder leidenschaftliche Kuss und jede drängende Berührung nichts weiter gewesen waren als ein perfides Mittel zur Verführung. Er hatte seine Rolle gut gespielt. Sie nahm nun an, dass ihm all diese Gesten gar nichts bedeutet hatten, während sie für Philippa alles gewesen waren.
„Ich hatte dich für einen Ehrenmann gehalten, Valerian.“ Ihre Stimme zitterte.
Noch einmal nahm er all seine Kraft zusammen. „Ich bin ein Ehrenmann. Deshalb habe ich auch das Bedürfnis, unser kleines Intermezzo zu beenden, ehe es zu weit geht.“
„Intermezzo?“ Philippa war fassungslos. „Du sagst das, als wäre unsere Beziehung nichts anderes als ein Zwischenakt im Theater gewesen. Ein Zeitvertreib zwischen anderen Beschäftigungen!“
Valerian straffte sich und bereitete sich auf den coup de grâce vor, den Gnadenstoß. „Ich werde morgen abreisen und meinen Onkel auf dem Kontinent besuchen, eine Reise, die zu Kriegszeiten nicht möglich war und die ich nun nachzuholen gedenke.“
„Valerian, das bist doch nicht du! Du spielst ein grausames Spiel.“ In ihrer Stimme klang ein gegen sie beide gerichteter Vorwurf mit. Ein Vorwurf wegen seines abscheulichen Verhaltens, aber auch Ärger auf sich selbst, weil sie sich so unbesonnen auf ihn eingelassen hatte. Natürlich irrte sie sich; er liebte sie von Herzen, aber es gab keinen ehrbaren Ausweg aus dieser Situation. Vielleicht war es das Beste, wenn sie das Schlimmste glaubte – dass seine Liebe nur Trug und sie selbst nur eine Tändelei für ihn gewesen war.
Valerian brachte nichts zu seiner Verteidigung hervor. Stattdessen verneigte er sich steif vor ihr. „Ich lasse dich jetzt allein. Ich sehe, dass du einen Moment für dich brauchst, um dich zu sammeln, ehe du in den Ballsaal zurückgehst“, sagte er mit unterkühlter Höflichkeit und wandte sich zum Gehen.
Philippa rief ihn ein letztes Mal zurück. Sie war offenbar kurz davor, in Tränen auszubrechen, denn sie brachte nur ein ersticktes Flüstern zustande. „Sag mir, dass du mich geliebt hast, dass nicht alles nur ein falsches Spiel war.“
Valerian blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um. Wie bei Orpheus wäre das sein Untergang gewesen. „Miss Stratten, das kann ich nicht.“ Er tröstete sich damit, dass das sogar der Wahrheit entsprach. Seine Kehle war vor Schmerz wie zugeschnürt, er hätte niemals die Worte hervorgebracht, die sie hören wollte. Schlimmer noch, er wusste, dass sie sein Schweigen als Herzlosigkeit auslegen würde. Aber wenn er ihr den Gefallen getan hätte, wäre das für sie ein Anlass für falsche Hoffnungen gewesen. Wenn Philippa auch nur eine winzige Chance für sich witterte, würde sie nicht nachgeben. Sie war hartnäckig. Er zählte auf diese Hartnäckigkeit, Philippa diese Krise überwinden zu lassen, sodass sie sich ein neues Leben aufbauen konnte.
Valerian schloss die Augen, und ein bitteres Gefühl des Verlusts breitete sich in ihm aus. Es war besser, diese Worte blieben ungesagt, auch wenn sie grausame Schlussfolgerungen daraus ziehen musste. Seine Vernunft war ihm nur ein schwacher Trost, als Philippa wieder zu sprechen begann. Ihre ruhigen, gefassten Abschiedsworte trafen ihn wie ein Pfeil mitten ins Herz. „Ich werde das nicht vergessen, Valerian.“
Verzweifelt straffte er die Schultern, in der Absicht, Philippas Vater aufzusuchen und ihm zu sagen, dass er seiner Bitte nachgekommen war und der finanziellen Sicherheit der Familie nicht länger im Weg stand. Er würde Beldon bitten, Philippa nach Hause zu fahren. Und dann würde er abreisen – das war die einzige Wahrheit, die er an diesem Abend von sich gegeben hatte.
In seiner anderen Jackentasche steckte der Brief seines Onkels, der ihn einlud, ihn und seine Familie auf dem Kontinent zu besuchen, wo Valerian als einer der vielversprechendsten jungen Diplomaten für England im
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