Zärtlicher Eroberer
geschrieben hatte, um seine Rückkehr anzukündigen. Erst in der letzten Sekunde hatte er erfahren, dass er zu der Gruppe von Unterhändlern gehörte, die nach London geschickt werden sollten, um einen Friedensvertrag durchzusetzen, der dem Konflikt zwischen den Türken und Russland ein Ende bereitete. Doch selbst als er mit Sicherheit gewusst hatte, dass er zurückkehren würde, hatte er niemanden davon in Kenntnis gesetzt. Es war eine Verzögerungstaktik, eine verzweifelte noch dazu, mit dem Ziel, das Wiedersehen mit Philippa bis zum letzten Moment hinauszuschieben.
Seine Amtszeit auf dem Kontinent war nicht lange genug gewesen, als dass sein eigenes gebrochenes Herz hätte heilen können. Er war in Europa geblieben so lange er konnte und hatte sich freiwillig für unzählige diplomatische Aufgaben gemeldet, die in der Folge der Napoleonischen Kriege erforderlich wurden. Napoleon hatte bei alten und neuen Regimes Spuren hinterlassen, und Valerian hatte schnell gemerkt, dass es immer jemanden zu bekämpfen gab.
Abkommen mochten unterzeichnet worden sein, aber Europa und vor allem der Balkan befanden sich nicht im Frieden. Es gab noch immer vieles, was England Sorge bereitete, während Länder Kriege führten, um ihre Identität zu finden, und danach trachteten, sich in dem Machtvakuum auszubreiten, das Napoleons Niederlage geschaffen hatte.
Valerian war Augenzeuge gewesen, wie neuzeitliche Geschichte geschrieben wurde, während England und das restliche Europa darum stritten, den Balkan zu beherrschen.
Nach Jahren sinnloser Siege und Enttäuschungen war Valerian zu der Erkenntnis gelangt, dass er keinen Gefallen an Auseinandersetzungen fand, die nach außen hin einen idealistischen Anstrich hatten, im Grunde aber nur von Gier und Habsucht geprägt waren. Auch durfte er nicht unbegrenzt von zu Hause fortbleiben. Er musste sich um seinen Besitz und seine Gärten kümmern und konnte sich nicht ewig auf seinen Verwalter verlassen.
Einem jungen Mann von einundzwanzig Jahren mit gebrochenem Herzen konnte man es nachsehen, wenn er sein Erbe in einem ungestümen Augenblick vergaß, doch als ein erwachsener Mann von dreißig Jahren, der seine Pflicht kannte, durfte er sich nicht länger davor drücken. Trotzdem war es schwer, nach Hause zurückzukehren, denn das bedeutete, irgendwann Philippa und Cambourne gegenüberstehen zu müssen. Aber Pflichtgefühl und Ehre waren zwei Tugenden, die er stets hochgehalten hatte, im Gegensatz bisweilen zu seinem Land.
„Wie geht es deiner Schwester?“, fragte er und versuchte, beiläufig zu klingen.
Beldon nickte. „Es geht ihr gut, ich sehe sie oft. Du hast sie in London verpasst. Sie hat die Ferien mit einem Freund in Richmond verbracht. Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich sie überreden können, in der Stadt zu bleiben.“ Beldon verstummte und schien sich seine nächsten Worte sorgsam zurechtzulegen. „Es ist kaum zu glauben, dass sie erst siebenundzwanzig ist und ihre erste Ehe bereits hinter sich hat. Ich hingegen bin dreißig und war noch nie verheiratet. Irgendwie fühle ich mich dadurch etwas ‚zurückgeblieben‘.“
Valerian erstarrte. „Sie hat ihre erste Ehe bereits hinter sich?“
„Ja, wusstest du das nicht? Es stand in allen Zeitungen, ein ziemlich spektakulärer Tod.“
„Ich war schließlich nicht die ganze Zeit über in Wien“, gab Valerian trocken zurück und dachte an die kargen, dünn besiedelten Balkanlandschaften mit ihren schroffen Bergen, durch die er gereist war. Es gab Orte in Europa, bis zu denen keine Post gelangte, Orte mit Namen wie Voden und Negush. Orte, die auf keiner Landkarte verzeichnet waren, es sei denn, man war ein türkischer Pascha, der die Aufgabe hatte, die christlichen Gemeinden in Schach zu halten.
„Cambourne starb vor drei Jahren bei einem Grubenunglück. Es kam zu einem Einsturz, als er gerade eine seiner zehn Zinnminen inspizierte. Ein schrecklicher Unfall. Ein Stützpfeiler gab nach. Die Grubenarbeiter konnten ihn zwar herausholen, aber drei Tage später erlag er zu Hause seinen schweren Verletzungen.“
Philippa war Witwe. Diese Neuigkeit löste die unterschiedlichsten Empfindungen in Valerian aus. Er schwankte zwischen einem makabren Glücksgefühl, weil Philippa frei war, und Traurigkeit, weil sie den Verlust ihres Ehemanns hatte hinnehmen müssen und schon so früh im Leben ihr Dasein in der Gesellschaft als Dowager Duchess fristen musste. „Ich hoffe, Cambourne hat sie gut versorgt
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