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Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Titel: Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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jede Zelle seines Körpers von ungeduldigem Verlangen erfüllt war.
    Er faltete den Brief so vorsichtig zusammen, als handelte es sich um einen wertvollen Geldschein, und steckte ihn in seine Manteltasche.
    Als sich Poppy endlich wieder in der Sicherheit ihrer Familiensuite befand, bettete sie Dodger auf seinen bevorzugten Schlafplatz, in ein Körbchen, das ihre Schwester Beatrix mit einem weichen Tuch ausgepolstert hatte. Das Frettchen ließ sich hinlegen, schlaff wie ein nasser Lappen, und schlief ungestört weiter.
    Poppy lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Ein Seufzer entrang sich ihrer Kehle.
    Warum hatte er das getan?
    Oder viel entscheidender, warum hatte sie es mit sich geschehen lassen?
    Er als gestandener Mann hätte ein unschuldiges Mädchen niemals so küssen dürfen. Poppy schämte sich, dass sie sich in eine solche Lage gebracht hatte, und noch viel mehr schämte sie sich für ein Verhalten, das sie bei jedem anderen hart verurteilt hätte. Sie war sich ihrer Gefühle für Michael sehr sicher.
    Warum also hatte sie in dieser Weise auf Harry Rutledge reagiert?
    Poppy wünschte, sie könnte jemanden fragen, ihr Instinkt aber ermahnte sie, das Geschehene am besten schnell wieder zu vergessen.
    Sie wischte sich die sorgenvolle Miene vom Gesicht und klopfte an die Tür ihrer Gesellschafterin. »Miss Marks?«
    »Ich bin schon wach«, ertönte eine schwache Stimme.
    Poppy betrat das kleine Schlafzimmer und sah Miss Marks im Nachthemd an ihrem Waschtisch stehen.
    Miss Marks sah entsetzlich aus, ihr Gesicht war aschfahl, die ruhigen blauen Augen hatten im Schatten die Farbe blauer Flecken. Ihr hellbraunes Haar, das sie normalerweise geflochten und zu einem peinlich genauen Knoten hochgesteckt trug, hing in langen verfilzten Strähnen herunter. Sie kippte sich ein Tütchen Arzneimittelpulver auf die Zunge und führte mit zittriger Hand ein Wasserglas an ihre Lippen.
    »Oh, meine Liebe«, sagte Poppy mit sanfter Stimme. »Was kann ich tun?«
    Miss Marks schüttelte den Kopf und zuckte dann vor Schmerz zusammen. »Nichts, Poppy. Danke, vielen Dank, nett dass Sie fragen.«
    »Hatten Sie noch mehr Alpträume?« Poppy sah besorgt zu, wie Miss Marks zu einer Kommode wankte und nach Strümpfen, Strumpfbändern und Unterwäsche kramte.
    »Ja. Ich hätte nicht so lange schlafen sollen. Verzeihen Sie mir, Poppy.«
    »Da gibt es nichts zu verzeihen. Ich wünschte nur, Sie hätten angenehmere Träume.«
    »Meistens sind sie das auch.« Miss Marks lächelte matt. »Meine schönsten Träume handeln immer von Ramsay House. Der Holunder blüht, und die Kleiber nisten in der Hecke. Alles ist friedlich und sicher. Wie sehr ich das alles vermisse!«
    Auch Poppy vermisste Ramsay House. London, mit all seinen neumodischen Freuden und Unterhaltungsangeboten, konnte Hampshire nicht das Wasser reichen. Und sie freute sich so, ihre ältere Schwester Win wiederzusehen, deren Ehemann Merripen das Ramsay-Anwesen verwaltete. »Die Saison neigt sich dem Ende«, sagte Poppy. »Es ist nicht mehr lange hin, bis wir wieder zu Hause sind.«
    »Wenn ich das noch erlebe«, murmelte Miss Marks.
    Poppy lächelte mitfühlend. »Warum legen Sie sich nicht einfach wieder hin? Ich werde einen kalten Lappen für Ihren Kopf bringen.«
    »Nein, ich darf mich nicht geschlagen geben. Ich werde mich ankleiden und einen starken Tee trinken.«
    »Mit dieser Antwort habe ich gerechnet«, bemerkte Poppy trocken.
    Miss Marks war von durch und durch klassischem englischem Temperament und hegte ein tiefes Misstrauen gegenüber allem Fleischlichen und Sentimentalen. Sie war jung, kaum älter als Poppy, und besaß eine schier übernatürliche Gelassenheit, die es ihr ermöglichte, jeder nur erdenklichen Katastrophe, ob göttlich oder von Menschenhand, ins Auge zu blicken, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Poppy hatte Miss Marks nur ein einziges Mal außer Fassung gesehen, und das war in Gesellschaft ihres Bruders Leo, dessen sarkastischer Geist Miss Marks über das für sie erträgliche Maß hinaus zu ärgern schien.
    Miss Marks war zwei Jahre zuvor als Gouvernante eingestellt worden, jedoch nicht um die akademische Ausbildung der Mädchen aufzubessern, sondern um ihnen die unendliche Vielfalt an Regeln beizubringen, die für junge Damen, die sich in den Kreisen der höheren Gesellschaft bewegen wollten, unerlässlich waren. Mittlerweile hatte sie die Position einer fest angestellten Gesellschafterin und Anstandsdame.
    Anfangs hatten sich Poppy und

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