Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
und auf seinem Landgut ausgesetzt worden. Bisweilen fluchte Rohan, er habe bereits die halbe Vogelfauna von Hampshire freigekauft.
Poppy wandte sich vom Fenster ab und sah zu ihm hinüber. Der Fremde stand gegen eines der Bücherregale gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Er betrachtete sie nachdenklich, als wüsste er nicht genau, was er von ihr halten sollte. Trotz seiner entspannten Körperhaltung hatte Poppy das unangenehme Gefühl, dass er sie sofort schnappen würde, sollte sie auch nur versuchen sich aus dem Staub zu machen.
»Warum sind Sie eigentlich nicht verlobt?«, erkundigte er sich ohne Umschweife. »Sie sind doch gewiss schon zwei oder drei Jahre draußen in der Gesellschaft?«
»Drei«, antwortete Poppy und hatte sofort das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
«Ihre Familie ist sehr vermögend. Man würde annehmen, dass Sie eine großzügige Aussteuer haben. Ihr Bruder ist Viscount – ein weiterer Vorteil. Warum haben Sie nicht längst geheiratet?«
»Stellen Sie Leuten, die Sie eben erst kennengelernt haben, immer solche persönlichen Fragen?«, meinte Poppy erstaunt.
»Nicht immer. Sie aber finde ich … interessant.«
Sie dachte über die Frage nach, die er ihr gestellt hatte, und zuckte mit den Schultern. »Von all den Männern, die ich in den letzten drei Jahren kennengelernt habe, hat mir nicht ein einziger gefallen. Keiner war auch nur im Entferntesten ansprechend.«
»Und welche Sorte Mann würde Ihnen denn gefallen?«
»Jemand, mit dem ich ein ruhiges und ganz normales Leben führen könnte.«
»Die meisten jungen Frauen träumen von Leidenschaft und Romantik.«
Sie lächelte gequält. »Ich glaube, ich weiß das Alltägliche sehr zu schätzen.«
»Sind Sie schon einmal auf den Gedanken gekommen, dass London der falsche Ort für ein ruhiges, normales Leben sein könnte?«
»Gewiss. Nur bin ich nicht in der Lage, an den richtigen Stellen zu suchen.« Darauf hätte sie es beruhen lassen sollen. Es gab keinen Grund, noch weiter auszuholen. Doch eine von Poppys Schwächen war ihre Freude an der Konversation, und wie Dodger, wenn er eine Schublade mit Strumpfbändern vor der Nase hatte, konnte sie nicht widerstehen, sich hineinzustürzen. »Das Problem war, dass mein Bruder Lord Ramsay den Titel erbte.«
Der Fremde hob die Brauen. »Das war ein Pro-blem?«
»O ja«, sagte Poppy mit ernster Miene. »In meiner Familie war niemand darauf vorbereitet, wissen Sie. Wir waren entfernte Cousins und Cousinen des früheren Lord Ramsay. Der Titel traf Leo nur wegen einer Serie vorzeitiger Todesfälle. Die Hathaways hatten keine Ahnung von Etikette – wir wussten nichts über die Verhaltensweisen der Oberschicht. Wir waren glücklich in Primrose Place.«
Sie hielt inne, um in den tröstlichen Kindheitserinnerungen zu schwelgen: das freundliche reetgedeckte Cottage, der Blumengarten, in dem ihr Vater seine preisgekrönten Apothekerrosen pflegte, die beiden Belgischen Kaninchen mit den Schlappohren, die in einem Stall hinter dem Haus wohnten, die Bücherstapel in allen Ecken. Nun war das Cottage verfallen und der Garten lag brach.
»Aber es gibt kein Zurück im Leben, nicht wahr«, bemerkte sie nachdenklich. Sie beugte sich herunter, um einen Gegenstand auf einem der unteren Regalbretter zu betrachten. »Was ist denn das? Oh. Ein As-trolabium.« Sie hob eine mehrschichtige Messingscheibe mit eingravierten Ziffern und Zeichen und am Rand eingekerbten Bogengraden auf.
»Sie wissen, was ein Astrolabium ist?«, fragte der Mann und ging zu ihr hinüber.
»Ja, natürlich. Das Instrument wird von Astronomen und Navigatoren verwendet. Und von Astrologen.« Poppy untersuchte die winzige Himmelskarte auf einer der Scheiben. »Dieses ist aus Persien. Ich würde sagen, es dürfte ziemlich genau fünfhundert Jahre alt sein.«
»Fünfhundertundzwölf«, korrigierte er langsam.
Poppy konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. »Mein Vater war ein Kenner des Mittelalters. Er hatte eine ganze Sammlung von Astrolabien. Er hat mir sogar beigebracht, wie man sie selbst herstellen kann, aus Holz, Schnüren und einem Nagel.« Sie drehte vorsichtig an den Scheiben. »Welches ist Ihr Geburtsdatum?«
Der Fremde zögerte, als gebe er nicht gern persönliche Informationen über sich preis. »Der erste November.«
»Dann sind Sie im Zeichen des Skorpion geboren«, sagte sie und drehte das Astrolabium in der Hand herum.
»Sie glauben an Astrologie?«, fragte er mit einem Anflug von Hohn
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