Zärtliches Spiel mit dem Feuer
gar nicht, dass ,man' Jagd auf mich macht. Ich will doch nur, dass Sie mich mögen."
Charlie fragte sich, weshalb das Schicksal gerade sie dazu ausersehen hatte, heute Charles und nicht Beth zu sein. „Clarissa, meine Liebe. Männer wie ich schätzen nun einmal die Jagd, weil sie interessant und erregend ist. Wir ...", sie zuckte hilflos die Schultern, „... mögen das Jagen."
„Wollen Sie damit sagen, man würde mich jagen, falls ich fortliefe?"
„Jawohl."
Clarissa schüttelte unglücklich den Kopf, doch dann straffte sie entschlossen die Schultern. „Wenn Sie es so wollen, Charles." Nachdenklich betrachtete sie das sie umgebende Buschwerk. „In welche Richtung soll ich laufen?"
Stöhnend verdrehte Charlie die Augen. „Clarissa, das war nur als Metapher gemeint!"
„Metapher?"
„Als ein Beispiel", erläuterte Charlie ungehalten. „Selbstverständlich will ich Sie nicht wirklich durch das Unterholz jagen. Was ich damit sagen wollte - Sie müssen so tun, als läge Ihnen an mir nicht das Geringste."
Clarissa blickte sie entsetzt an. „Aber ich mag Sie doch!"
„Das weiß ich. Trotzdem sollten Sie mich ignorieren, mich schneiden oder sonst etwas tun, um mir klarzumachen, dass Sie nicht im Mindesten an mir interessiert sind."
„Und was tun Sie, während ich Sie ignoriere?"
„Ich? Nun, ich werde Sie von fern bewundern."
„Von fern?" Das schien Clarissa ganz und gar nicht zu erfreuen.
„Das ist jetzt große Mode", erklärte Charlie. „Es gilt als ungeheuer romantisch."
„Romantisch?"
„Genau. Ich werde ein Liebesgedicht über mein zerbrochenes Herz schreiben."
„Und es mir dann übermitteln?" fragte Clarissa aufgeregt.
„Nein. Ich kann nicht dichten. Meine Gedichte würden ganz entsetzlich kitschig ausfallen. Also werde ich sie zerknüllen, ins Feuer werfen und dann fürchterlich leiden."
„Leiden? Ach, mein lieber Charles, ich will doch gar nicht, dass Sie leiden."
„Unser Gemeindepfarrer meint, Leiden sei gut für die Seele", erklärte Charlie fest, nahm das Mädchen beim Arm und führte es den Weg zurück, auf dem sie gekommen waren. Am Waldesrand blieben sie kurz stehen.
„Nun ja, wenn er das sagt ...", sagte Clarissa, „und wenn Sie das für das Beste halten ..."
„Zweifellos ist es das Beste", versicherte ihr Charlie lakonisch und fügte hinzu: „Und Sie müssen mir versprechen, sich unbedingt von Leuten fern zu halten, die Jimmy oder Freddy heißen."
„Wie Sie wünschen, Charles", stimmte das Mädchen pflichtschuldigst zu.
„So ist's recht." Charlie lugte durch das Gebüsch zu den Leuten auf der anderen Seite. „Im Augenblick scheint niemand herzuschauen. Gehen Sie jetzt zum Picknickplatz zurück. Damit es kein Gerede gibt, werde ich noch einen Moment warten und dann nachkommen."
„Jawohl, Charles." Clarissa drehte sich um und trat auf die Lichtung hinaus.
Aufatmend sah Charlie ihr nach, lehnte sich dann gegen einen Baumstamm und wartete die angemessene Zeit ab, ehe sie ebenfalls zurückkehrte.
9. KAPITEL
Radcliffe bewegte sich unter den Picknickgästen umher und suchte zwischen den lachenden, schwatzenden Leuten nach Charles. Er hatte den Jungen schon eine ganze Weile nicht gesehen, und langsam machte er sich Sorgen. Größere Sorgen als angebracht, dachte er und schüttelte den Kopf über sein eigenes Verhalten. Sosehr er sich auch mahnte, sich auf die Schwester zu konzentrieren und dem Bruder aus dem Weg zu gehen, so konnte er es doch nicht ändern.
Sobald Charles heute Morgen mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen in das Frühstückszimmer gekommen war, hatte Radcliffe gemerkt, dass ihm das nicht gelingen würde. Der Knabe zog ihn einfach an. Bei Tisch hatten sie sich angeregt über die gegenwärtige politische Lage unterhalten, und er hatte herzlich über den klugen Witz des Jungen lachen müssen. Das war eigentlich gar nicht so übel gewesen, doch als sich ihre Hände berührten, weil sie beide gleichzeitig zur Marmelade griffen, hatte wieder dieser erregende Schauer Radcliffe durchlaufen.
Das war höchst beunruhigend. An dem einen Tag näherte er sich der Schwester unsittlich, die doch unter seinem Schutz stand, und am nächsten Tag empfand er für den Bruder etwas, das er in seinem ganzen Leben noch niemals für einen Geschlechtsgenossen empfunden hatte.
Das ging alles über seinen Verstand, und er war zu der Einsicht gelangt, es sei am besten, wenn er von beiden Geschwistern Abstand hielt. Und das würde er auch heute getan haben, wenn er
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