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Zärtlichkeit des Lebens

Zärtlichkeit des Lebens

Titel: Zärtlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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suchte. Er beugte sich ins Leere vor und streckte sich nach Sarahs Hand aus. Sie berührten sich kurz mit den Fingerspitzen, verloren den Kontakt aber wieder, als Sarah sich schutzsuchend an den Fels schmiegte.
    »Tut mir leid.«
    Er konnte sie kaum verstehen, da der Wind ihre tränenverschleierte Stimme verwehte.
    »Es tut mir leid. Ich habe solche Angst.«
    »Streck dich einfach nach oben, Sarah. Gib mir die Hand. Gib mir die Hand, Sarah!«
    Wieder streckte sie sich, und ihre Hände berührten sich.
    Sofort packte er fest zu. Er spürte, wie sie zitterte. »Stütz dich mit der anderen Hand am Fels ab. Such möglichst mit den Zehen nach einem Halt. Ich ziehe dich hoch. Hilf mit, Sarah!«
    Das Atmen tat ihr in der Kehle weh, und ihre Lungen konnten die eiskalte Luft kaum verkraften. Mit der freien Hand packte sie den Fels und konzentrierte sich auf die Berührung mit Byron, während sie mit den Füßen nach Halt suchte. Sie spürte, wie er sie zwei, drei Zentimeter hochhob. Ihre Stiefel schabten und scharrten gegen den Fels. Voll Entsetzen sah Sarah nach unten.
    Nichts als Leere…
    »Nein! Nein! Schau mich an, Sarah, schau nach oben. Nicht nach unten.« Bei seinem Befehl wandte sie sich wieder ihm zu und konzentrierte sich auf sein Gesicht. »Schau einfach nur mich an. Ich brauche deine andere Hand, Sarah. Du mußt mir auch die andere Hand geben.«
    Sarah starrte ihn an. Plötzlich erinnerte sie sich lebhaft an ihr Gefühl bei ihrer allerersten Begegnung. Die Kälte, das blendende Weiß, die Furcht. Schwindel wogte wieder über sie hinweg.
    »Sarah, verdammt, du wirst nicht ohnmächtig. Hörst du mich?
    Du wirst jetzt
nicht
ohnmächtig, verflucht noch mal!« Entsetzen überflutete ihn. »Gib mir die Hand. Schau mich an und gib mir die andere Hand. Sarah, um Himmels willen, ich brauche die andere Hand!«
    Sie hörte ihn verschwommen, wie im Traum, hob aber die Hand in die Richtung, aus der die Stimme kam. Er packte schmerzhaft fest ihr Handgelenk und kroch dann unter Anspannung jedes Muskels auf dem Bauch zurück, zog sie langsam Zentimeter für Zentimeter nach oben. War sie noch bei Bewußtsein? Der Rücken tat ihm weh, als er sich in den Schnee stemmte und sie höher zog. Der Schnee peitschte ihm ins Gesicht und nahm ihm jede Sicht.
    Er zog weiter, kam auf die Knie und brachte sie so bis zur Kante. Einen Augenblick schwebten sie zwischen Dunkelheit und Schneegestöber. Dann, nach einer letzten Kraftanstrengung, hielt er sie im Arm und rollte sie von der Kante weg.
    Sarah spürte seinen Mund, kalt und verzweifelt, auf dem ihren. Doch seine Worte drangen nicht zu ihr durch. Ein Nebel umgab sie selbst dann noch, als sie seinen muskulösen Körper über dem ihren spürte. Er streichelte sie, als wolle er sich vergewissern, daß sie auch wirklich heil und sicher bei ihm lag.
    »Es war Januel«, murmelte sie, während sie wieder in den Dämmerzustand abtauchte. Doch der Schnee holte sie ins Bewußtsein zurück. »Er hat Max allein gelassen. Einfach allein gelassen. Ich bin gefallen… ausgerutscht. Er hat die Spezifikationen geändert… Hat er dir gesagt, daß ich gestürzt bin?« Auf einmal kam sie sich ganz schwerelos vor, als Byron sie aufhob. »Er hat niemanden zu Hilfe geholt… ihn einfach allein gelassen, die ganze Nacht. Byron, laß mich nicht allein.
    Geh nicht weg.«
    Im dichten Schneetreiben preßte er sie noch fester an sich und lief mit ihr auf den Armen auf die Lichter zu.
    Sarah starrte an die Decke. Einen Augenblick pendelte sie zwischen Wachsein und Schlaf, dann schweifte ihr Blick zum Fenster.
    Byrons Silhouette hob sich gegen die Balkontür ab. Er drehte ihr den Rücken zu und hatte die Hände auf dem Fensterbrett liegen. Wie er so dastand, wirkte er erschöpft, was Sarahs Neugierde erregte. Ihr fiel ein, daß sie ihn in all der Zeit bisher nie müde erlebt hatte. Es schien, als sei er unzerstörbar, wie sie es einst Max Haladay gewünscht hatte.
    »Byron.« Sie dachte, sie habe nur im Geist seinen Namen gerufen, doch sie mußte ihn laut gesagt haben, weil er sich sofort umdrehte und zu ihr eilte. Noch während er die Hand ausstreckte, um ihr die Wange zu streicheln, hielt er inne, zog die Hand zurück und steckte sie in die Hosentasche.
    »Wie geht es dir?«
    Sarah holte tief Luft und versuchte, es selbst herauszufinden.
    »Ein bißchen mitgenommen, glaube ich«, meinte sie nach kurzem überlegen. »Und wackelig. Aber lebendig.« Als sie sich aufsetzen wollte, legte ihr Byron die Hand auf die

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