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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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meiner Pfeife. Wir bauen eine Höhle. Wir spielen
Friseur, du bist die Kundin. Wir schütten deinem Bruder Waschpulver ins
Badewasser. Keine Ahnung, wo sie alle geblieben sind, die Freundinnen, die
Ideen, die ganze sogenannte Kinderzeit. An der Kasse mussten wir nicht mal
unsere Ausweise vorzeigen, was ja eigentlich als Triumph zu verbuchen ist. Ich
schreibe es aber Ellas Anwesenheit zu, und fast erleichtert mich das. Übrigens
sahen wir Tobias, also ich. Ich hatte gar nicht daran gedacht, hatte zum ersten
Mal mein ausgefuchstes Observationssystem vernachlässigt, dem ich in letzter
Zeit sowieso nur noch routinemäßig gefolgt war. Freitags in der ersten Pause
vor Raum 5, dienstags
auf dem Weg zum Chemieraum, wo ich sowieso kaum noch einen Gruß für ihn habe,
weil ich meistens mit Ella schwatze, mittwochs nach der Schule bei P enny . Ich warf noch Chips und
Schokolade mit aufs Band, wir teilten uns den Preis, aber jetzt bin ich die
Einzige, die davon nascht, um nicht zu sagen, Unmengen davon in sich reinstopft.
Ich weiß verdammt noch mal, dass das eine Übersprungshandlung ist, ich habe
eine Eins in Bio. Aber warum sagt denn bloß keiner was! Das ist der letzte
Abend. Und der geht einfach so vorbei, vorbei wie jeder andere, und ich wundere
mich irrsinnigerweise wieder mal über diese Taubblindheit der Zeit, die aber auch
gar nichts merkt, kein bisschen langsamer, besonderer vergeht. Unsere
Unfähigkeit. Als ob uns wirklich nichts bleibt, außer uns sinnlos zu betrinken,
zu sein wie alle anderen. Ach Paul, warum musstest du herkommen, in dieses
Kacknest, ein Bernstein im Hinterland, unmöglich, wo man schon am Strand keine
findet. Mama wusste wohl gar nicht, was sie sagte, als ich ihr in einem
früheren Einsamkeitsanfall mal mein Leid klagte - und da ahnte ich ja noch
nicht mal, wie schlimm es werden kann, denn es ist ein gewaltiger Unterschied,
ob man noch oder wieder einsam ist - und sie dann echt den Spruch mit dem Huhn
brachte. Ich war natürlich beleidigt. A uch ein
blinder T rinker findet mal einen K orn . Ich muss grinsen, obwohl mir
zum Heulen ist. Ach, Paul. Nur damit ich dich sehen kann? P oetry in motion , ha? Nur damit ich gezeigt
kriege, was ich niemals haben kann? Danke, war nicht nötig. Haben. Sein. Alles
Blödsinn. Abschied nehmen. Das ist geradezu absurd. Man weiß, derjenige wird
morgen um die Zeit nicht mehr da sein, ich meine, man weiß schon ganz, wie es
sein wird, man hat die Traurigkeit schon in sich, wie eine Krankheit, die
unerwartet früh ausgebrochen ist, man könnte fast sagen, die Inkubationszeit
ist abgelaufen, bevor der eigentliche Erreger eindringen konnte, oder wie bei
Pilzvergiftungen, wo schon die Vorstellung genügt, einen Giftpilz verzehrt zu
haben, um echte Symptome auszulösen. Hinkt wahrscheinlich alles. Aber
überhaupt, Pilze: Von wegen, man härtet ab mit der Zeit. Es gibt Pilze, die
kann man eine ganze Weile lang essen. Und dann kommt das Mal, das Mahl, ja, zu
viel, die endgültige Vergiftung. Ich glaube, morgen ist es so weit.
Jedenfalls, soviel Schizophrenie muss man erst mal aufbringen, an einem
Abschiedsabend normal zu wirken. Der, der schon weg ist, sagt: »Was denkt ihr:
Wer war es?«
    Ella schielt über den Rand
ihres Glases, wir trinken Wodka aus Whiskeygläsern, echt Bleikristall, jetzt
zweite Garnitur aus dem Küchenschrank, ihre Mutter trinkt stilles Wasser draus,
Ella nimmt noch einen Schluck vom Wässerchen, dann sagt sie langsam: »Wer war
was?«
    »Die Elpe!«, sagt Paul. »Das
Feuer. Denkt ihr, es war ...«
    Die LP! Ich werde es nie
wieder anders denken können.
    »Der doch nicht!«
    »Wer?« Ich gucke Ella erstaunt
an, sie wirkt plötzlich wieder munter.
    »Ecki!«, stößt sie verächtlich
hervor. Dabei scheint Ecki doch der Einzige zu sein, dem so was ernsthaft
zuzutrauen wäre. Andererseits auch wieder nicht, Ellas Entschiedenheit
leuchtet mir plötzlich ein. Das ist nicht die Tat eines Maulhelden. Eher schon
eines Sven mit Iltisblick.
    »Keine Ahnung«, sag ich.
»Wahrscheinlich das, wonach es aussieht: die kleine Kokelei ist ein bisschen
außer Kontrolle geraten. Also dieser Gniedeck. Oder Börner. Oder die bewährte
Kollektivschuld.«
    Paul lacht, obwohl ich bezweifle,
dass er das verstanden hat. Aber er sagt: »Burner? They call'im Burner?«
    Wir lachen mit. Ella winkt ab.
»Ist doch egal. Weg ist weg.«
    Weg ist weg, denke ich. Ob ihr
das wirklich so leichtfallen wird? Ich kann nicht glauben, dass dieser Satz
nicht auch für sie ein scharfer, oder

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