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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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endlich Wochenende war, und dann hieß das,
»nee, du bliwwst hier, eener mööt up de Lütten uppassen«, und »eener« war
natürlich wieder ich.
    Und da hab ich mir denn immer
vorgestellt, dass das gar nicht wirklich meine Geschwister sind, dass ich gar
nicht zu dieser Familie gehör und die mich nur ausnutzen und ich bloß ihre Magd
bin - ich hab mir das immer vorgestellt wie in den Märchenfilmen -, aber eines
Tages würden die noch alle zu mir aufschauen, und dann würd ich denen entweder
die kalte Schulter zeigen - das hab ich natürlich immer gedacht, wenn ich schon
geheult hab, vor Wut -, oder ich war die Großzügigkeit in Person und würd nur
abwinken und sagen, ach, schon gut. Oder ich würde sterben. Den Gedanken hatte
ich oft. Ich hab mich hinter unserm Haus zwischen den Büschen versteckt und mir
die Augen ausgeheult und mir dann ausgesponnen, ich würde sterben, und wie sie
denn alle an meinem Grab stehen und um mich heulen würden. Was mich nur noch mehr zum Heulen
gebracht hat, und da hockte ich denn zwischen den Stachelbeeren, und die dicken
Fliegen schwirrten um mich rum. Eklige Biester, aber die waren überall, auch
drinnen, besonders in der Küche, gleich gegenüber war ja der Bullenstall, und
deswegen haben die denn immer diese Fliegenfänger aufgehängt, diese klebrigen
Dinger, die aussahen wie Wurstpelle, die baumelten überall von der Decke, keine
zwei Tage, da waren die schwarz. Ich mocht im Sommer nie meine Freundinnen bei
uns reinlassen. Später gabs dann dieses Insektenspray, Mux, davon war ja meine
Oma so begeistert; wenn meine Mutter in die Stadt gefahren ist, hat sie ausm
Fenster gerufen, »bring mi noch eis Mux mit«, und abends, bevor wir beide da
oben in unserer Dachkammer zu Bett gegangen sind: »Ick glööw, wi mööten noch
eis muxen.« Romy wollt sich kaputtlachen, als ich ihr das erzählt hab. Dabei
mochte die als Baby auch überhaupt keine Fliegen, sie hat dann immer so
schreckhaft mit dem Kopf gezuckt, und später, als sie sprechen konnte, mich
besorgt angeguckt und: »Mama, Fiege!« gesagt und dabei so die Stirn ganz kraus
gemacht, und Mama hat die »Fiege« weggescheucht.
    Wenn meine Mudder dann nach
mir gerufen hat, »Sonja! Sonja!«, hab ich immer Angst gehabt, dass sie mich
findet, und ich wusste nicht, was dann schlimmer gewesen war, das Gemecker,
weil ich mich nicht gemeldet hab, oder die Frage, warum ich denn geheult hab.
Das hätt ja keiner verstanden, verstehen wollt mich da sowieso nie einer, außer
meine Oma vielleicht, der hab ich fast alles erzählt, besonders abends, wenn
wir da beide im Bett lagen und ihr Kofferradio noch son bisschen vor sich hindudelte,
manchmal kam sogar was Modernes, altmodisch war sie eigentlich nicht, meine
Oma. Sie hat auch mit mir Fernsehn geguckt, auch meine Sendungen, und wenn denn
da sone langhaarige Gruppe auftrat, hat sie gefragt: »Sün dat de Büdels?« Mit
so was hat sie mich immer zum Lachen gebracht, ich glaub, sie wusste das auch.
»De Büdels«, das war ja sozusagen n Schimpfwort: »Wie süühst du denn ut, wien
Büdel!« Herbert mit seiner toupierten Matte hat das öfter zu hören gekriegt,
das war eigentlieh der Befehl, schleunigst zum Frisör zu gehen. Meiner Oma war
das egal, »loot em doch«. Sie war da nicht so, obwohl sie ja da schon alt war,
und dann war sie später auch noch die Oma Hilda für Romy, wenn man sich das mal
überlegt, sie war ja die einzige Oma, die sie hatte. Ich glaub, an meine Mudder
erinnert Romy sich gar nicht mehr, ich weiß gar nicht, ob sie >Oma< zu
der gesagt hat. Mit meiner Mudder könnt ich nicht reden. Ich hab sie lieb
gehabt, sie war schließlich meine Mutter, aber mal drücken oder so, das könnt
die mich nicht. Da stand sie immer ganz steif, wenn ich, wie ich noch lütter
war, ihr in die Schürze kriechen wollt, wenn ich geheult hab, »nu is ja wedder
gaut«, hat sie denn bloß gesagt. Später hab ich mich denn woanders verkrochen,
alleine.
    Aber einmal, das weiß ich
noch, och, das war schlimm. Das war, als ich sie mit dem Messer geschnitten
hab. Ich weiß gar nicht mehr, ich sollte irgendwas durchschneiden, ich glaub,
ein Stück Wäscheleine, und meine Mutter hielt mir das so mit beiden Händen
stramm hin, »schnied eis dörch«, und das ging schwer, und denn hab ichs auch
durchgeschnitten, aber bin irgendwie abgerutscht mit dem Messer, und das war
ausnahmsweise mal scharf, sonst gabs bei Stöwsands ja immer nur stumpfe
Gniewen, das war gleich mit das Erste, wodrüber Friedhelm sich

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