Zarias Geheimnis
die Kraft dazu gefunden. Aber ich musste mit meiner Klasse nach Oberon-Stadt, wo wir unsere Uhren und Zauberstäbe erhalten sollten. Ich hatte mich darauf gefreut, seit ich die Bedeutung von Radia erkannt hatte.
Beryl reichte mir ein Glas frischen Orchideensaft. »Das lindert die Schmerzen«, sagte sie.
Sie musste sehr früh aufgestanden sein, um die Blumen zu pflücken. Sie betrachtete mich mit müden Augen, während ich den Saft hinunterkippte. Auch wenn er tatsächlich ein wenig half, dankte ich ihr nicht.
Ansonsten sagte sie kein Wort, nicht einmal »Auf Wiedersehen«, als ich mich auf den Weg machte.
Draußen wartete Leona mit einem schmerzverzerrten Ausdruck im Gesicht neben dem Orchideenfeld auf mich. Ich zupfte eine Handvoll roter Blüten ab und hielt sie ihr hin. »Iss die. Es hilft.«
Leona stopfte sich scharlachrote Blütenblätter in den Mund. »Danke«, murmelte sie.
Meteor und Andalonus landeten nicht weit von uns.
Andalonus schnitt eine Grimasse. »Gefesselte Flügel?«, sagte er. »Rieche ich Ärger?«
Meteor fand das offensichtlich gar nicht lustig. Er runzelte die Stirn. »Was habt ihr getan ?«, fragte er.
»Nichts!«, schrie Leona.
»Nichts?«
Ich stellte mir vor, wie Jenna, das kleine Menschenmädchen, dem ich am Vortag begegnet war, Meteor betrachten würde. Er würde ihr Angst einjagen. Seine weißen Augenbrauen hoben sich gegen seine dunkle Haut ab. Wenn er die Stirn runzelte, berührten sie sich über der Nase.
»Wir dürfen es euch nicht sagen«, erklärte ich.
»Ausgerechnet heute.« Eine Strähne sein schwarz-weiß gestreiften Haars fiel ihm in die Augen. »Was habt ihr angestellt?«
»Streng geheim.« Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
Andalonus stellte sich hinter mich. »Oberons Krone! Ist das Eisen ?«
Meteor riss die Augen auf und sah mir fest ins Gesicht. »Eisen?«
»Blutstein«, erwiderte ich.
Andalonus glitt hinter Leona. Ihm war das Lächeln völlig vergangen. »Blutstein hat euch das angetan?« Er deutete auf ihre Flügel.
Auch wenn Meteor zur Abwechslung einmal die Worte fehlten, blieb er zumindest nicht tatenlos stehen. Er drehte mir den Rücken zu und ging in die Hocke.
»Halt dich an meinen Schultern fest«, forderte er mich auf. »Ich trage dich.«
Ich sprang ungeschickt auf seinen Rücken. Dabei verdrehte ich mir die Flügel und musste einen Schrei unterdrücken, klammerte mich jedoch an ihm fest, während er vorsichtig und nah über dem Boden losflog.
Andalonus bot Leona daraufhin seinen Rücken an. Einen Moment lang dachte ich, sie würde ablehnen, doch sie nahm seine Hilfe an.
Schweigend bewegten wir uns auf den großen Moment zu.
Die Kuppel, die den Elfenorden der Magie (besser bekannt als EOM) beherbergte, glitzerte in Gold, Silber und Platin, war mit Kupfer eingefasst und mit Edelsteinen besetzt. An ihrer Spitze drehte sich langsam ein riesiger pyramidenförmiger Rubin.
Die Wände waren aus Kristall, weshalb es einem beim Eintreten so vorkam, als tauchte man in ein Prisma ein. Einfallende Sonnenstrahlen erfüllten den Eingang mit allen Farben des Spektrums. Prachtvolle Teppiche in Rot, Orange und Gelb bedeckten die Böden.
Weitere Schmach erwartete Leona und mich. Während unsere Klassenkameraden zum Hauptsaal hinaufschwebten, schickte man uns zu einer spiralförmigen Rampe. Auch wenn sich Leona für unsere gefesselten Flügel noch mehr schämte als ich, behielt sie den Blick stur geradeaus, während wir uns zu Fuß nach oben schleppten und schließlich in einen runden Raum geführt wurden.
Als wir eintraten, war die gesamte Klasse bereits versammelt und wartete. Ich hatte gehofft, unbemerkt hineinschlüpfen zu können, aber das war schlicht unmöglich.
Auf der anderen Seite des Saals saßen drei Mitglieder des Hohen Rates an einem Marmortisch, und obwohl Beryl mich auf diesen Augenblick vorbereitet hatte, erfüllte mich ihre Anwesenheit mit Ehrfurcht – und großer Scham wegen meiner mit Eisen gefesselten Flügel.
Auf dem Ehrenplatz in der Mitte des Raums thronte eine kräftige Elfe mit schwarzen Flügeln und überaus weißer Haut. An einer Goldkette um ihren Hals hing eingroßer, viereckiger Rubin mit dem Emblem Oberons. Das musste die Magistria Hedda Magnetit sein, das Oberste Ratsmitglied und nach Königin Velleron die bedeutendste Elfe des Landes.
Zu ihrer Linken erkannte ich Ratsmitglied Zirkon, Meteors Vater. Er hatte grüne Augen wie sein Sohn, aber seine Lippen und seine Nase waren sehr dünn und seine weißen Haare
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