Zauber des Orients
ihn liebte, doch Vere war ihrer Liebe würdiger. Vere war derjenige, der die größere Verantwortung für das Land auf seinen Schultern trug, das wusste Drax. Und wie sollte er, der den Bruder besser kannte als jeder andere, ihm eine so wunderbare und einzigartige Frau wie Sadie abspenstig machen? Mit der Zeit würde Sadie lernen, Vere zu lieben. Es war undenkbar, dass sie es nicht lernen würde. Sie würde ihn lieben, seine Kinder gebären, und mit der Zeit würde auch er selbst …
Der Schmerz erfasste ihn mit solcher Wucht, dass er fast laut aufgeschrien hätte. Dieses Bild von der Zukunft würde er nicht ertragen. Sadie gehörte ihm! Erst vor einer Stunde hatte er sich nur mit Mühe davon abgehalten, sie zu der Seinen zu machen! Hätte er das nicht getan, dann wäre vielleicht schon jetzt der Keim zu einem neuen Leben gelegt, das sie gemeinsam erschaffen hätten …
Düstere Gedanken zuckten wie Blitze durch seinen Kopf. Gedanken, die die Loyalität zu seinem Bruder infrage stellten. Der Teil in Drax, der Sadie so absolut und tief liebte, wollte alles und jeden bekämpfen, was sich zwischen sie stellen könnte. Doch der andere Teil in ihm, der, der Veres Zwillingsbruder war, hielt diese dunklen Gelüste im Zaum.
Und während er diesen vehementen inneren Kampf mit sich ausfocht, erschien eine kleine Falte auf Veres Stirn, der seinen Bruder beobachtete. Drax’ Reaktion war mitnichten das, was er erwartet hatte.
„Drax, gibt es da vielleicht irgendetwas, das du mir sagen möchtest?“
Das war die Einleitung, um dem Zwilling alles zu gestehen. Ihn zu bitten, sich zurückzuziehen und auf Sadie zu verzichten. Doch eine Mischung aus Loyalität und Stolz hielt Drax zurück. Selbst wenn Vere sich zurückzog, wie sollte er, Drax, je sicher sein können, ob der Bruder die Entscheidung nicht bereuen würde? Ob er ihm nicht eines Tages vorhalten würde, ihm Sadie gestohlen zu haben? Wie sollte das Band von Vertrauen und Loyalität zwischen ihnen bestehen können? Drax bereute nicht die Intimität, die er bereits mit Sadie geteilt hatte. Die Erinnerung an diese süßen Stunden würde er sein Lebtag in sich tragen.
„Nein, nichts“, sagte er tonlos. „Wieso sollte ich?“
Vere spürte, dass Drax etwas vor ihm zurückhielt, aber sein Stolz verbot es ihm, weiter zu drängen und eine Erklärung zu verlangen. Sie waren erwachsene Männer, keine Kinder mehr, und sie beide hatten das Recht auf Privatsphäre.
Wie immer, wenn Vere verletzt war, zog er sich in sich selbst zurück und zeigte jene Distanziertheit, aus der Drax ihn normalerweise immer schnell herauslocken konnte. Doch dieses Mal war Drax viel zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt, als dass ihm die kühle Haltung des Bruders aufgefallen wäre.
„Der Innenminister möchte uns daran erinnern, dass nächste Woche die Feierlichkeiten zum Gründungstag unseres Landes stattfinden.“ Mit gepresster Stimme brach Vere das drückende Schweigen. „Er hat bereits die Vorbereitungen für den alljährlichen Besuch in der Oase der Zwei Tauben getroffen. Ich gehe davon aus, dass du teilnimmst?“
„Ja, natürlich.“ Drax’ Stimme klang ebenso angespannt.
„Und Sadie kommt ebenfalls, wie ich hoffe?“
Allein zu hören, wie sein Bruder ihren Namen aussprach, versetzte ihm einen tiefen Stich. „Wenn das dein Wunschist“, erwiderte Drax hölzern.
„Unter den gegebenen Umständen halte ich ihre Anwesenheit für angebracht“, sagte Vere leise. Sah Drax denn nicht, wie sehr es ihn schmerzte, so ausgeschlossen zu werden? Oder interessierte es ihn etwa nicht? Nie in seinem Leben war Vere sich so einsam und verlassen vorgekommen. „Um genau zu sein, ich halte es nicht nur für angebracht, sondern für unerlässlich. Schließlich sollte sie als Mitglied der königlichen Entourage gesehen werden.“
„Wenn du es wünschst“, wiederholte Drax kurz angebunden.
„Ja, ich wünsche es.“
Sie standen kurz vor dem Bruch – wegen einer Frau, dachte Drax schmerzhaft. Nicht wegen irgendeiner Frau, sondern wegen der Frau … wegen seiner Frau. Die er aufgeben musste. Wie sollte er das ertragen können? Und Sadie? Was war mit ihren Gefühlen? Hatte sie nicht auch ihm ihre Liebe gegeben? Sie war völlig unerfahren und sehnte sich danach, zu lieben und ihre Liebe erwidert zu wissen. Wenn sie ihn lieben konnte, trotz dem, was er ihr anfangs vorgeworfen hatte, dann würde sie sicherlich auch Vere lieben können? Würde sie in Veres Bett die Augen schließen und an ihn
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