Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
erwehren,
der wütend an seiner Leine zerrte und nach dem Knie des Mannes schnappte. Der Portier
erhob sich, gab der schlotternden Sopranistin die Handtasche und drehte sich um.
Er sah sich dem jungen Mann in der Jacke der ihm wohlbekannten Cateringfirma gegenüber,
der ihm böse dreinblickend einen Vogel andeutete, während einige der hereinströmenden
Musiker versuchten, elegant über die hingestreckten Fisch- und Dessertleichen auf
dem Boden zu steigen, ohne in Joghurtdressing und Orangenchutney zu treten. August
Maierhofer hatte plötzlich das dringende Verlangen, auf der Stelle in den schützenden
Bunker seiner Portiersloge zu flüchten, in die Nische unter seinem Schreibtisch
zu greifen, die Flasche hervorzuholen und sich einen doppelten Vogelbeer zu genehmigen.
Doch das würde wohl keinen allzu guten Eindruck hinterlassen. Und er wollte unbeschadet
seine Pension antreten können, was Gott sei Dank in fünf Monaten der Fall war. Also
würde er zuerst dem jungen Mann helfen, die Fisch- und Tortensauerei aufzuwischen,
sich hundert Mal entschuldigen und dann den Wachdienst verständigen. Der würde die
Frau schon finden, die in aller Seelenruhe an seiner Portiersloge vorbei ins Innere
des Festspielhauses geschlüpft war. Und in einer halben Stunde würde er ohnehin
abgelöst. Da sollte sich dann der Steinmeier um die Sache kümmern. Während er aus
seiner Loge Papierrollen und eine Mistschaufel holte, war die Rothaarige längst
im Inneren des riesigen Gebäudes mit dem Lift nach oben unterwegs. Zusammen mit
vier Chorsängerinnen, einem Beleuchter, einer von der Kostümbildnerin schnell herbeigerufenen
Schneiderin und einem Cellisten. Keiner kümmerte sich um die kleine rothaarige Frau
mit der großen Umhängetasche. Alle waren von der prickelnden Spannung wegen der
bevorstehenden Premiere erfasst. Außerdem begegnete man in den vielen Gängen des
Festspielhauses tagtäglich Leuten, die man nicht kannte. Gundi Stiegler hätte sich
ohnehin von niemandem aufhalten lassen. Einer wie ihr konnte man nicht einfach den
Weg versperren.
»Der Hölle Rache kocht in meinem
Herzen, Tod und Verzweiflung …« Sie holte
tief Luft, konzentrierte sich auf das hohe B, das es gleich zu erreichen galt. »Tod
und Verzweiflung flammet um mich her …« Nicht schlecht. Das »flammet« hatte schon ganz passabel gestrahlt.
Für den ersten Versuch beim lockeren Einsingen war Anabella Todorova zu frieden.
Aber sie konnte es noch besser, das wusste sie. Sie stand in einem der Probenzimmer
im zweiten Stock des Festspielhauses neben dem Klavier. Mit der linken Hand griff
sie in die Tasten, ließ einen Akkord erklingen.
D-F-A. Sie
liebte diese Arie. Auch wenn sie die Königin der Nacht schon Hunderte Male auf allen
großen Bühnen der Welt gesungen hatte, war es jedes Mal aufs Neue ein besonderes
Erlebnis. Und sie hatte auch jedes Mal wieder ein wenig Schiss bei diesem Auftritt.
Das ist
die am schwersten zu singende Arie in der Opernliteratur, hatte eine
ihrer Vorgängerinnen in einem Interview gesagt, die berühmte Edda Moser. Anabella
Todorova konnte ihr nur beistimmen. Bei keiner Arie hat man so wenig Vorbereitung
in der Melodie. Es ging sofort los. Ein kurzer Orchesterschlag und dann ein Schrei,
der aus tiefem Schmerz explodierte: Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen! Als
ob einen ein Tiger anspringen würde. Und die Koloraturen waren wie ein vokaler Drahtseilakt
im mörderischen Tempo ohne Netz. Sie schlug einen weiteren Akkord an und stellte
sich in Positur. »Fühlt nicht durch dich Sarastro Todesschmerzen, Sarastro Todesschmerzen,
so bist du meine Tochter nimmermehr. So bist du, nein, meine Tochter nimmermehr …« Es klopfte. Noch bevor die Sängerin
auf das Pochen reagiert hatte, wurde die Tür geöffnet und der Kopf einer jungen
Frau erschien.
»Entschuldigung,
Frau Todorova, ich will Sie nicht beim Einsingen stören. Ich wollte Ihnen nur toitoitoi
sagen, bevor Sie in die Maske gehen.«
»Komm rein,
Fabienne.«
Die junge
Geigerin huschte ins Zimmer. Sie trug ein helles Abendkleid, wodurch das Kastanienbraun
ihrer langen Haare noch besser zur Geltung kam. Am Dekolleté steckte eine Rose.
Sie lief auf die Todorova zu und küsste sie flüchtig auf beide Wangen.
»Hast du
brav geübt? Maximilian Glocker hat mir erzählt, du wärst bei dieser idiotischen
Fotografiererei mit den vielen Kindern gewesen.«
Fabienne
Navarra errötete leicht. »Aber nur ganz kurz. Dann habe ich sofort wieder zu üben
begonnen.«
Die
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