Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
wieder
gelang es einigen Leuten aus den Zuschauerreihen, unter der Absperrung durchzuschlüpfen
und auf die Straße zu eilen. Man wollte den Promis so nahe wie möglich kommen. Einen
Schnappschuss mit dem Handy erwischen, vielleicht sogar ein Autogramm zu erhaschen.
»Das ist
ja noch irrer als sonst.« Merana war ebenfalls stehen geblieben. Kein Wunder, dass
das übliche Spektakel bei der Auffahrt vor den Festspielhäusern heute noch turbulenter
war. Diese Zauberflötenaufführung wurde als Jahrhundertereignis angekündigt. Hätte
Merana nicht durch seine Ermittlung im Jedermannfall [1] inzwischen
beste Kontakte zur Festspielleitung, wäre er nie an Karten gekommen.
»Ist das
nicht der französische Präsident?«, fragte seine Begleiterin. Merana reckte den
Hals. Vier dunkel gekleidete Männer mit Sonnenbrillen halfen einem kleinen Mann
mit Halbglatze aus einer dunklen Limousine und eskortierten ihn durch das mittlere
große Tor. Sieben ausländische Staatsoberhäupter hatten sich für die heutige Vorstellung
angesagt, wie Merana wusste, darunter auch der britische Premierminister. Dazu einige
adelige Herrschaften mit eindrucksvollen Wappen und elendslangen Vonundzu-Titeln
auf den Visitenkarten, und natürlich jede Menge Promis aus Film und Fernsehen. Sogar
Hollywoodstar Brad Pitt war heute hier. Merana hatte es zu Mittag im Radio gehört.
Angeblich hatte der amerikanische Schauspieler die Hälfte seiner Entourage wieder
nach Hause geschickt. Dadurch waren einige Premierenkarten plötzlich frei geworden.
Daraufhin wurde das Kartenbüro der Festspiele gestürmt. Aber umsonst. Die begehrten
Tickets waren längst auf schwer nachvollziehbaren Wegen vergeben worden. Der Kommissar
und seine Begleiterin näherten sich der Menschentraube vor dem Festspielhaus. Irgendwo
in der Ferne entdeckte Merana ein auffällig gelbes Transparent, das in die Höhe
gehalten wurde, wieder verschwand, dann wieder auftauchte. Er konnte nicht erkennen,
was darauf stand. Falls es eine Protestbotschaft an die illustren Premierengäste
war, hatten die Demonstranten eindeutig einen schlechten Platz gewählt. Er nahm
die Frau an seiner Seite vorsichtig am Arm und steuerte mit ihr durch die Reihen
der Uniformierten auf den ersten Eingang zu. Er hatte zu Mittag zwei Mal versucht,
Birgit zu erreichen. Doch ihr Handy blieb ausgeschaltet. Daraufhin hatte er seine
Stellvertreterin angerufen, Chefinspektorin Carola Salmann. Die hatte ihm zuerst
abgesagt, weil sie niemanden fand, der auf Hedwig achtgeben konnte, ihre kleine
geistig zurückgebliebene Tochter. Eine halbe Stunde später hatte sie ihm mitgeteilt,
es ginge nun doch. Otmar würde bei Hedwig bleiben. Revierinspektor Otmar Braunberger
gehörte auch zu Meranas Ermittlerteam. Otmar und Carola waren seine engsten Mitarbeiter.
Als sie das Foyer des Großen Festspielhauses erreicht hatten, blieb die dunkelhaarige
Chefinspektorin stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Merana auf
die Wange.
»Ich weiß
zwar nicht genau, wie ich zu der Ehre komme, zusammen mit dir die Zauberflötenpremiere
zu erleben. Aber ich freue mich riesig.«
Ihre Augen
glänzten. »Ich mich auch, Carola«, erwiderte der Kommissar und drückte sie kurz
an sich.
»Dann lass
uns würdevoll auf die Bar zuschreiten, Martin, wie es sich für High-Society-Premierengäste
geziemt. Wir leisten uns jetzt Champagner, egal, was er kostet. Du bist von mir
eingeladen. Und keine Widerrede.«
Während
Carola sich am Buffet um den Champagner anstellte, überlegte Merana, ob er noch
einmal die Großmutter anrufen sollte. Er entschied sich dann dagegen. Er hatte kurz
vor dem Weggehen mit ihr gesprochen. Sie hatte ihn beruhigt, es gehe ihr schon viel
besser als am Morgen.
›Ich habe
mir einen Weißdorntee zubereitet, Martin. Der hilft mir jetzt‹, hatte sie gemeint.
Ganz beruhigt war Merana nicht, aber er vertraute auf das Wissen der Großmutter.
Sie kannte sich aus mit den verborgenen Kräften, die in allem Lebendigen schlummerten,
in den Blättern der Kräuter genauso wie in den Herzen der Menschen. Eine Geschichte
aus seiner Kindheit fiel ihm ein. Da hatte ihm die Großmutter erzählt, in den Zweigen
des Weißdornbusches lebten Feen. Deshalb wäre es gut, den weisen Frauen ab und zu
ein Geschenk zu machen. Eine Feder ins Rankenwerk zu stecken oder ein Stück Stoff
an einen der Äste zu binden. Er hatte oft stundenlang vor dem Weißdornbusch in ihrem
Garten gehockt, hatte die Hälfte seiner Glasmurmeln und ein ganzes in
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