Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Juli, 9.30 Uhr
Seit seiner Ermittlung im Jedermann-Fall
vor einem Jahr fühlte sich Merana in den Gängen des Großen Festspielhauses schon
fast wie zuhause. Er genoss es, durch die Korridore zu streifen, vorbei an den Probenzimmern,
hinter deren Türen Klavier oder Geigen erklangen, manchmal auch Gesangsstimmen in
schnellen Koloraturläufen. Er traf Musiker, die zur Probe unterwegs waren, Damen
aus der Schneiderei, die Kostüme in fantastischer Ausstattung in die Chorgarderoben
schoben. Er nickte Bühnenarbeitern und Lichttechnikern zu. Diese grüßten ihn freundlich
zurück, als gehöre er längst zum Personal. Als er sich vom unteren Stockwerk der
großen Bühne näherte, hörte er über sich laute Stimmen. Zwei Personen stritten,
ein Mann und eine Frau. Er erreichte eine Leiter und stieg daran von der Unterbühne
zur Hauptbühne hoch. Am Bühnenrand standen in einigen Metern Entfernung ein groß
gewachsener junger Mann und eine kleinere Frau, die Merana den Rücken zuwandte.
»Was glaubst
du, in welche unangenehme Lage du mich damit gebracht hast!«, rief der junge Mann
laut. Dann bemerkte er den Kommissar. »Entschuldigen Sie, das geht leider nicht.
Sie können da nicht einfach hereinkommen. Wir haben gleich Probe.«
Nun drehte
sich auch die Frau um. Merana war überrascht, als er den roten Haarschopf und das
Gesicht wiedererkannte. Die leibhaftige Gimpl-Gundi stand vor ihm. Merana zeigte
dem Regieassistenten im Herankommen seinen Dienstausweis. »Ich halte Sie nicht lange
auf.« Dann wandte er sich an die Frau. »Guten Tag, Frau Stiegler. An Sie hätte ich
auch ein paar Fragen.« Die Frau blitzte ihn aus rauchgrauen Augen an und blies sich
kräftig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich habe jetzt leider keine Zeit. Ich
bin unterwegs im Dienste der Geschöpfe der Natur!« Damit ließ sie ihn stehen und
verschwand Richtung Ausgang. Der Kommissar überlegte kurz, ob er sie aufhalten sollte,
fand es aber nicht so wichtig und ließ es bleiben.
»Sie dürfen
das nicht so ernst nehmen, meine Mutter gibt andauernd solche Sprüche von sich.«
Merana brauchte
ein paar Sekunden, um zu verstehen, was der junge Mann eben gesagt hatte. »Das ist
Ihre Mutter, die Gimpl-Gundi? Ich meine Rotgunde Stiegler.«
Der Assistent
zuckte mit den Schultern. »Ja, leider.« Dann reichte er dem Polizisten die Hand.
»Ich bin Johannes Stiegler.« Sein Händedruck war kräftig.
»Ich nehme
an, Sie haben den Vorfall mit Ihrer Mutter am Samstagabend mitbekommen.«
»Natürlich
habe ich das mitgekriegt.« Er hob seine Stimme, sie klang zornig. »Deswegen bin
ich ja sauer auf sie. Kommt da am späten Nachmittag unangekündigt hinter die Bühne.
Zuerst habe ich mich noch gefreut, weil sie mir alles Gute für meine erste Festspielpremiere
als Assistent wünschte. Ich wollte sie dann nach draußen begleiten, aber sie meinte,
sie fände den Weg schon alleine. Und dann stehe ich im ersten Akt links in der Kulissengasse,
während der Max seine Papageno-Arie anstimmt. Und was sehe ich plötzlich? Die Saaltüre
fliegt auf und meine Mutter schneit herein mit einem Megafon und veranstaltet einen
Affenzirkus! Ich wäre am liebsten bis in die Unterbühne versunken!«
Merana überlegte,
ob ihm der junge Mann etwas vorflunkerte und vielleicht gar nicht so erschrocken
war, sondern eher ein Mitwisser. Nach dem überzeugenden Tonfall des Mannes zu schließen,
glaubte er eher nicht, dass er belogen wurde. Doch ganz ausschließen wollte er die
Variante auch nicht.
»Hatte Ihre
Mutter etwas dabei, als sie zu Ihnen hinter die Bühne kam?«
»Ja, eine
Tasche. In der waren wohl das Abendkleid und die Schuhe. Sie muss sich irgendwo
im Haus verkrochen und auf den richtigen Moment gewartet haben, bis sie mit ihren
Kumpanen ihre Einlage zum Besten geben konnte. Sie kennt sich hier ja ein wenig
aus. Ich Trottel habe ihr gleich zu Probenbeginn vor vier Wochen voller Stolz gezeigt,
wo ich arbeite und für sie eine eigene Hausführung gemacht bis in die hintersten
Winkel dieses Riesenkastens. Und dann schleicht sie sich hier ein!«
Wieder packte
ihn der Zorn. »Ich könnte Sie erwürgen!«
Er hielt
kurz inne. »Entschuldigen Sie, neben einem Polizisten sollte man vielleicht mit
solchen Drohungen vorsichtig sein.«
»Ich verstehe
Sie gut. Wenn es meine Mutter wäre, würde ich sie auch erwürgen wollen.« Sie sahen
einander ins Gesicht. Und plötzlich fingen beide aus vollem Hals zu lachen an. Der
junge Mann wieherte fast wie ein Maultier und verschluckte
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