Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Sand brannte wie Feuer. Er hörte die Schreie der Mädchen aus der Ferne. Sie
lachten. Plötzlich starrte ihn das riesige Gesicht einer Frau an, mit toten Augen.
Aus dem Mund tropfte Blut in dicken Batzen. Als würden ihr schwarze Spinnen über
den Hals laufen. Er drehte sich unruhig auf dem Bett hin und her. Draußen hatten
die Wolkenplatten den Himmel völlig verfinstert. Dunkelheit setzte ein. Es blitzte
in seinem Traum. Er stand im Scheinwerferlicht auf der Bühne, versuchte zu singen.
Seine Stimme versagte. Angstschweiß kroch über seinen Rücken. Die geifernde Menge
forderte eine Arie von ihm. Er konnte nicht. Er brachte keinen Ton heraus.
Ein schrilles Läuten drang in sein
Bewusstsein. Sein Oberkörper schnellte aus dem Bett hoch. Er brauchte ein paar Sekunden,
um zu registrieren, wo er sich befand. Das Zimmer war dunkel. Wieder drang der schrille
Ton an sein Ohr. Er kam von der Türglocke. Sein Kopf brummte, Übelkeit machte sich
in seinem Mund breit. Er schaute auf den Wecker am Nachttisch. Kurz vor 21 Uhr.
Loretto wollte doch erst nach zehn kommen. Erneut läutete es. Ja, er war ja schon
unterwegs. Er schlüpfte in den Bademantel, band sich notdürftig den Gürtel über
seinem dicken Bauch zu und stapfte ins Vestibül. Dort warf er einen raschen Blick
in den Spiegel. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, versuchte es zu glätten.
Er wollte nicht gänzlich unordentlich erscheinen für seine ›Geschenke‹. Dann öffnete
er die Tür.
Sonntag, 26. Juli, 23.30 Uhr
Merana sackte müde auf die Couch
in seinem Wohnzimmer. Er legte die Füße auf den flachen Glastisch. Er war seit halb
sechs auf den Beinen. Er hatte sich auf der Heimfahrt vorgenommen, zuhause noch
Musik zu hören, den Schluss der Zauberflöte. Ab der wunderbaren Arie der Pamina,
die wegen der vermeintlich abweisenden Haltung von Tamino mit tiefer Trauer erfüllt
ist. Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden. Diese Arie ging ihm jedes
Mal zu Herzen. Die Aufnahme, die er besaß, mit der jungen Gundula Janowitz als Pamina,
berührte ihn besonders. Aber er fühlte sich zu erschlagen. Er ließ noch einmal die
Geschehnisse des Tages Revue passieren, von seinem frühen Aufstieg zum Kapuzinerberg
bis zur letzten Ermittlungs-Besprechung vor zwei Stunden. Sie hatten versucht, aus
den spärlichen Angaben, die das Team mit allen Helfern zusammengetragen hatte, einen
ungefähren Ablauf der Ereignisse hinter der Bühne und im Bereich der Garderoben
zu skizzieren. Drei Zeugen hatten sich gefunden, die sich an eine rothaarige Frau
erinnern konnten, darunter eine auskunftsfreudige Schneiderin aus der Kostümabteilung.
Die war sich ziemlich sicher, mit einer rothaarigen Person im Lift gefahren zu sein.
Doch dann verlief sich die Spur der Frau wieder. Es gab bisher niemanden, der bestätigen
konnte, dass Anabella Todorova etwas zu sich genommen hatte. Immerhin hatten sie
herausgefunden, dass in allen Künstlergarderoben Johannisbeer- und Orangensäfte
vorhanden waren, geliefert von einer Cateringfirma. Dazu hatte man Kaffee, Tee,
Obst und Snacks in den Garderoben vorbereitet. Allerdings waren alle Reste samt
Geschirr noch in der Nacht abgeräumt worden. Sie hatten auch zur Kenntnis nehmen
müssen, dass die Regisseurin bereits am frühen Morgen abgereist war. Sie musste
dringend nach Barcelona, wo am Morgen bereits die Proben für ihre nächste Inszenierung
begannen. Die kurzen Verständigungsproben mit der Ersatzsängerin Milena Kurzmann
würde der Regieassistent übernehmen. Um die Befragung dieses Assistenten wollte
Merana sich selbst kümmern. Sie hatten auch noch herausgefunden, dass Waldemar Bernhold
tatsächlich seit gestern am späten Nachmittag in Salzburg weilte. Ob er auch im
Festspielhaus gewesen war, wussten sie noch nicht. So lange sie keinen Beweis in
der Hand hatten, dass der Geigenhändler in Verbindung mit der Todorova-Stiftung
tatsächlich in einen Betrug verwickelt war, würde ein Gespräch mit ihm wenig bringen.
Sie würden es trotzdem morgen Nachmittag versuchen. Merana sah auf seine Armbanduhr.
Gleich Mitternacht. Andrea würde wohl schon zuhause sein, in ihrer kleinen Garçonnière
im Stadtteil Schallmoos. Er war einmal dort gewesen, im Frühsommer. Die Streifenpolizistin
hatte sich geweigert, an der Abschiebung einer ausländischen Familie mit zwei Kleinkindern
mitzuwirken. Ein Disziplinarverfahren drohte. Er hatte ihr Hilfe angeboten. Doch
sie wollte die Sache ohne ihn durchstehen. Sie hatte damals sogar kurzzeitig
Weitere Kostenlose Bücher