Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
Einmal
sah er kurz zwischen den Baumstämmen das Gesicht von Andrea aufleuchten. Er lief
darauf zu, aber ein riesiger Kerl im langen Gewand schleuderte ihm ein Zurück! entgegen. Die Gestalt glich dem Sarastro aus der Zauberflötenpremiere. Er drehte
sich um und versuchte wieder die tote Frau mit den Schnecken zu finden. Doch er
sah sie nirgends mehr. Er spürte würgende Angst in sich. Tiefe Angst. Er wusste
nicht genau, wovor er sich fürchtete. Die Angst drückte ihn auf die Knie. Er wollte
schreien, aber er brachte keinen Ton heraus. Da sah er eine alte Frau an einem See
mit hellem Wasser sitzen. Es war die Großmutter. Sie winkte ihm zu. Gleich darauf
wachte er auf.
Ein Gewirr aufgeregter Stimmen schlug
ihm entgegen, als er gegen neun Uhr das große Besprechungszimmer betrat. Die Bilder
der toten Frau, die vergangene Nacht im Wald gefunden worden war, beherrschten die
breite Ermittlungstafel an der Längsseite des Raumes. Auch nachdem der Kommissar
sich gesetzt hatte, um das Meeting zu eröffnen, war noch keine Ruhe eingekehrt.
Jedes Mitglied der Ermittlungsgruppe hatte sich bereits mit den Fakten aus dem Untersuchungsbericht
vertraut gemacht, den sie am Morgen im Mail vorgefunden hatten. Doktor Zeller hatte
noch in der Nacht die Autopsie vorgenommen. Der Chef der Spurensicherung hatte das
Gutachten durch den Bericht seiner Gruppe ergänzt. Merana hatte in der Früh mit
Staatsanwältin Taubner telefoniert. Sie war genauso wie der Kommissar der Ansicht,
die beiden Fälle vorerst im Zusammenhang zu betrachten, sofern sich keine anderen
Anhaltspunkte ergaben.
Die Leiche
von Emina Saric war gegen 23 Uhr von einem Ehepaar entdeckt worden, das nach einem
Restaurantbesuch auf dem Gaisberg den Heimweg zu Fuß angetreten hatte. Der Hund
des Ehepaares, der vor den beiden herlief, hatte plötzlich angeschlagen und war
von der Straße in den steil abfallenden Wald abgebogen. Die Fundstelle der Leiche
war tagsüber von der Straße aus nicht direkt einsehbar, weshalb die Tote wohl auch
einige Zeit unentdeckt geblieben war. Nach Einschätzung des Gerichtsmediziners musste
der Tod rund 45 bis 55 Stunden vor Auffinden der Leiche eingetreten sein, also irgendwann
zwischen Sonntag am späten Nachmittag und den frühen Morgenstunden des Montags.
Sowohl der Arzt als auch die Leute der Tatortgruppe stimmten darin überein, dass
die Frau nicht an dieser Stelle gestorben war. Die Leiche wies deutliche Druckstellen
an den Armen auf, als wäre sie getragen oder gezogen worden. Zudem zeigten die Verletzungen
an ihrem Körper, dass sie zuvor auf eine viel härtere Unterlage gestürzt war, als
sie der weiche Waldboden bot. Sie hatte schwere Wunden am Hinterkopf. Verletzung
des Gehirns durch Schädelbruch. Das linke Schulterblatt war gebrochen und der Beckenknochen
abgesprengt.
»Hört sich
an, als sei sie rückwärts aus dem Fenster vom vierten Stock in den Hof gestürzt«,
bemerkte Carola Salman, als sie gemeinsam den Bericht durchgingen.
»Vierter
Stock ist zu hoch«, korrigierte der Polizeiarzt. »Meiner Einschätzung nach ist die
Fallhöhe nicht mehr als drei Meter. Aber Hof könnte passen. Die Unterlage war sehr
hart und glatt. Es könnte auch jemand nachgeholfen haben. Sie hat seitlich am Schädel
eine Verletzung, die auf keinen Fall infolge des Sturzes entstand. Sie könnte einen
Schlag von der Seite bekommen haben. Dass sie sich diese seitliche Verletzung zuzog,
als der Körper durch die Bäume nach unten fiel, halte ich aufgrund der Bodenbeschaffenheit
im Wald für äußerst unwahrscheinlich.«
Die versammelte
Mannschaft dachte über die ergänzenden Bemerkungen des Arztes nach. Merana stand
auf und trat an die Tafel. Sie war in zwei Hälften geteilt. Links hingen die Tatortfotos
der toten Emina, auf der rechten Seite die Bilder von Anabella Todorova.
»Wir werden
wie immer professionelle Arbeit machen, und deshalb möchte ich nicht, dass wir uns
in eine Richtung verrennen. Bis jetzt gibt es keinerlei verbindliche Anzeichen dafür,
dass die beiden Todesfälle miteinander in Zusammenhang stehen. Andererseits weisen
beide Frauen zwei Gemeinsamkeiten auf. Sie haben, jede auf ihre Art, mit den Salzburger
Festspielen zu tun. Und sie waren beide bei der Premiere der Zauberflöte anwesend.
Wir werden im Fall von Emina Saric nicht allein auf diesen Zusammenhang fixiert
sein, sondern zusätzlich auch allen anderen Hinweisen nachgehen, die nichts mit
ihrer Tätigkeit bei den Salzburger Festspielen zu tun haben.«
Er drehte
sich
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