Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
beigefügt. Die Ähnlichkeit zwischen Tante und Nichte war nicht besonders ausgeprägt,
aber doch erkennbar. Der Kommissar notierte die wichtigsten Passagen der Aussage
auf eine Karteikarte und hängte sie zusammen mit dem Foto an die große Ermittlungstafel.
Allmählich
kamen die Dinge in Schwung. Ergebnisse anderer Befragungen trudelten ein. Auch scheinbar
widersprüchliche Aussagen passten ins Gesamtgefüge, wenn man sie so einordnete,
wie Merana es tat. Erneut brach er in die Stadt auf. Dieses Mal führte ihn sein
Weg nicht auf den Kapuzinerberg, sondern auf die rechte Salzachseite zu einem Haus
in der Nähe des Mozarteums. Gleich nach seiner Rückkehr kam der erlösende Anruf.
Die Mitarbeiterin in der Gerichtsmedizin hatte die Zeiteinschätzung ihres Chefs
klar unterschritten. Sie hatte nur 22 Stunden gebraucht. Exakt waren es 22 Stunden
und vier Minuten, wenn Merana es ganz genau nahm. Richard Zeller selbst lieferte
ihm am Telefon das Ergebnis der Untersuchung.
»Es besteht
kein Zweifel, Martin. Es findet sich mindestens ein gemeinsames Merkmal in allen
Systemen. Du hattest recht mit deiner Annahme.«
Auch wenn
er auf diese Antwort vorbereitet war, traf sie ihn dennoch wie ein Schlag.
»Hallo,
Martin! Bist du noch da?«
Er versuchte,
sich zu fassen.
»Ja, Richard.
Vielen Dank. Richte das bitte auch deiner Assistentin aus.«
Er erhob
sich langsam und ging ins Sitzungszimmer. Dort stellte er sich noch einmal vor die
große Tafel. Er brauchte diese zehn Minuten, um sich zu sammeln. Dann berief er
sein Team ein. Es blieb ihnen nicht viel Zeit, um noch ein paar offene Einzelheiten
zu überprüfen und Zeugen zu befragen. Aber sie würden es schaffen.
Samstag, 1. August, 23.00 Uhr
Die große Wolkenbank trieb langsam
über den Himmel. Sie erinnerte Merana an ein unförmiges Schiff mit schwarzen Segeln.
Als der aufkommende Wind das Wolkengebilde am Firmament stärker erfasste, lösten
sich die Segelballen auf und gaben den Mond frei. Das fahle Licht fiel schräg auf
die Bäume. Der Mond war im Zunehmen. Die Sichel zeigte sich schon breit, war aber
bei weitem kümmerlicher als der glänzende silberne Halbmond, auf den die Königin
der Nacht der Zauberflötenaufführung ihren Fuß gesetzt hatte. Der Kommissar hielt
›Totenwache‹, ein Ritual, das ihm wichtig geworden war. Das Opfer seines ersten
Falles war ein kleines Mädchen gewesen. Sie hatten den zerschundenen Körper in der
Rollsplitttonne eines Hinterhofes gefunden. Noch in der darauf folgenden Nacht war
er an diesen Ort zurückgekehrt. Es war ihm nicht darum gegangen, dort mögliche Hinweise
für die Suche nach dem Mörder zu finden. Er war einfach da gestanden und hatte die
Stille auf sich wirken lassen. Er wollte die Präsenz des Ortes wahrnehmen, wo sich
die Hülle eines kleinen Wesens befunden hatte, in dem wenige Tage davor noch Leben
gewesen war. Atmen und Lachen. Herzschlag und Freude. Nahezu bei jeder seiner bisherigen
Ermittlungen hatte es Momente gegeben, in denen er aufbrach, um sich an einen solchen
Platz zu begeben. Manchmal geschah dies gleich in der Nacht nach dem Auffinden der
Leiche, manchmal auch später. Oft hatte er dabei auch an Franziska gedacht. Auch
jetzt war er sich der Leere bewusst, die seine Frau durch ihren Tod hinterlassen
hatte. Er ließ seine Augen ein paar Minuten auf den Bäumen ruhen. Das Mondlicht
warf Streifen auf die Stämme. Die Äste reichten bis an den Rand der Gaisbergstraße.
Er konnte von da, wo er stand, die genaue Stelle unter ihm nicht ausmachen. Aber
er fühlte sie. Dort war vor vier Tagen der Leichnam von Emina Saric gelegen. Er
sah das schmale Gesicht des Mädchens vor sich, mit den Schmutzspuren des Waldbodens
und dem eingetrockneten Blut auf der Haut. Er spürte wieder den Blick, den sie starr
nach oben gerichtet hatte, auf einen Punkt weit draußen, fern der Wipfel dieser
Bäume.
So wird
Ruh’ im Tode sein!
Er hielt auch Totenwache für Anabella
Todorova. Er war ihr nie näher gekommen als die gut 30 Meter, die seinen Platz im
Parterre von der Bühne des Festpielhauses getrennt hatten. Doch der Anblick ihrer
verkrümmt hingestreckten Gestalt auf dem schwarzen Boden neben der durchsichtigen
Säule würde für immer in seiner Erinnerung eingebrannt bleiben. Sein Atem ging ruhig.
Kaum ein Geräusch drang von der nahen Stadt hier herauf. Er ließ noch ein wenig
die Aura der Umgebung auf sich wirken. Dann kehrte er zu seinem Wagen zurück.
Hartmut
Keller. Er hatte sich den Namen des jungen
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