Zauberkusse
Bächen Annas blasses Gesicht hinunter, während sie krampfhaft versucht, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Verlegen halte ich ihr die Rolle hin:
»Ich hab leider nur Klopapier.«
»Macht nichts. Danke«, schnieft sie und reißt ein paar Blätter ab.
»Es ist vierlagig«, plappere ich weiter, »und ganz weich. Und, äh, blau.«
»Das sehe ich«, sagt Anna, wischt sich die Tränen weg und putzt sich lautstark die Nase. Ich stehe unschlüssig herum und trete von einem Bein auf das andere. Als mein Blick auf die silberne Wanduhr fällt, zucke ich erschreckt zusammen. Verdammt, mein Seminar! Das hatte ich ja total vergessen. Noch kann ich es schaffen, aber dann müsste ich Anna jetzt auf der Stelle rauswerfen und aus irgendeinem Grund bringe ich das nicht über mich. Doch in diesem Moment erhebt sie sich von selbst und streckt mir die Hand hin, die ich ergreife.
»Entschuldige die Störung«, murmelt sie. »Ich glaube dir, dass du nichts mehr mit Gregor hast.«
»Danke«, sage ich und sie versucht ein zaghaftes Lächeln, während sie nach dem Gefrierbeutel greift.
»Das hier nehme ich wohl am besten mit. Vielleicht kann er mir ja sagen, wem es gehört.« Der wird natürlich behaupten, das sei mein Höschen, denke ich bitter. Er wird sich rausreden und lügen, dass sich die Balken biegen. Ich sehe Anna hinterher, die mit gesenktem Kopf durch meinen Flur in Richtung Wohnungstür geht. Alle Kraft scheint aus ihrem Körper gewichen zu sein, nur die Plastiktüte hält sie so krampfhaft, dass die Knöchel an ihrer Hand weiß hervortreten.
»Warte«, rufe ich ihr hinterher und sie dreht sich überrascht zu mir um. »Sag ihm nichts. Wir sollten ihn auf frischer Tat ertappen.«
»Wir?«, fragt sie verwundert und ich halte einen Moment lang inne. Dann nicke ich heftig:
»Ja. Wir.«
Auf dem Weg zum Seminar über Lebensmittelreinheit und Ausschankgesetze schramme ich dreimal nur knapp an einem Auffahrunfall vorbei. Das ist aber nicht meine Schuld, sondern Lorettas, die mich durch das Telefon anschreit, kaum dass ich ihr von dem morgendlichen Besuch erzählt habe.
»Ja, bist du denn wahnsinnig geworden? Was soll das?« wettert sie, während ich gleichzeitig versuche, die Spur zu wechseln und mein Handy an die Freisprechanlage anzuschließen. Empörtes Hupen erklingt und der Fahrer des roten Golfs hinter mir zeigt mir den Stinkefinger.
»Ich kann doch nichts dafür, dass sie einfach so bei mir auftaucht. Sie hat nun mal meine Adresse«, verteidige ich mich, während ich entschuldigend den Arm hebe, um den Golffahrer zu beruhigen. »Und sie dachte, der Slip sei von mir.«
»Das habe ich kapiert. Ist er aber nicht. Basta!«
»Ja, aber weißt du, was das heißt?«, erkundige ich mich aufgeregt. »Er vögelt noch eine andere Frau.«
»Das ist aber nicht dein Problem«, beharrt Loretta. In diesem Moment springt die Ampel vor mir auf Gelb und ich steige in die Eisen. Ein erneutes Hupkonzert ertönt und im Rückspiegel sehe ich den Golf gefährlich näher kommen. Zentimeter von meiner Stoßstange entfernt kommt er dann doch zum Stehen. »Wieso willst du jetzt gemeinsam mit Anna -?« Plötzlich kann ich Loretta nicht mehr hören.
»Loretta? Bist du noch da? Ich verstehe dich nicht mehr.« Ich greife nach meinem Telefon und trenne die Verbindung zur Freisprechanlage. »Hallo?«
»Ja. Ich bin noch dran.«
»Oh. Dieses Mistding funktioniert schon wieder nicht.« Ich feuere meine Freisprechanlage in den Fußraum des Beifahrersitzes und beobachte, dass mein Hintermann es anscheinend nicht begrüßt, dass ich zusätzlich zu meinem Unvermögen jetzt auch noch ein Telefon am Ohr habe. Kann ich aber nicht ändern. »Was meintest du gerade?«, nehme ich das Gespräch wieder auf.
»Ich habe dich gefragt, warum du mit Anna zusammen Sherlock Holmes spielen und Gregor auffliegen lassen willst?«
»Keine Ahnung«, meine ich achselzuckend und gebe Gas. »Sie hat mir einfach leid getan, ich will ihr helfen. Und irgendwie sitzen wir doch jetzt gemeinsam in einem Boot.«
»Phhhffff«, kommt es langgezogen vom anderen Ende der Leitung.
»Was soll das jetzt heißen?«, frage ich entnervt und schiele gleichzeitig auf den aufgeschlagenen Stadtplan neben mir. Oh, hier muss ich rechts. Kaum habe ich die Spur gewechselt, braust Mister Golf hupend an mir vorbei und tippt sich mit dem Zeigefinger unmissverständlich an die Stirn. »Du Blödmann«, schimpfe ich zurück. »Entschuldige, Loretta, nicht du. Also, was soll das heißen?«
»Das soll
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