Zauberkusse
vergessen?« Ein verunsicherter Ausdruck huscht über ihr hübsches Gesicht. Sie bemüht sich tapfer, die Fassung zu bewahren, aber ihre Augen schwimmen bedenklich in Tränen.
»Komm rein«, sage ich plötzlich und gehe vorneweg in die Küche. Sie folgt mir zögernd und ich bin froh, dass ich Gregors Liebesschwüre von meinen Spiegeln eliminiert habe. »Setz dich«, fordere ich sie auf und versenke die Unterhose unbekannter Herkunft in einem Gefrierbeutel. So machen es die Kommissare im Tatort schließlich auch mit wichtigen Indizien. Dann wasche ich mir gründlich die Hände und schenke Anna einen Becher Kaffee ein. Sie nimmt ihn entgegen, schaut sich um und sagt noch immer kein Wort. Ich setze mich ihr gegenüber hin und hole tief Luft: »Ich kann dir versichern, dass das nicht mein Slip ist. Glaub mir. Hellblau steht mir nicht«, versuche ich einen Scherz, aber sie lächelt nicht. Na ja, das kann ich verstehen. Kopfschüttelnd sehe ich auf das Corpus Delicti, das mir von meiner Rivalin ins Gesicht geworfen wurde. Und ich dachte immer, so etwas passiert nur in wirklich schlechten Filmen. Bei denen ich mich immer frage, wie eine Frau so dämlich sein kann, ausgerechnet ihre Unterhose zu vergessen. Das spürt man doch, ob man untenrum was anhat. Oder etwa nicht? Nun, anscheinend war aber tatsächlich jemand blöd genug. Eine Frau. Nicht ich und nicht Anna. Aber wer sonst? »Du sagst, du hast ihn in Gregors Auto gefunden?«, erkundige ich mich und sie nickt schwach.
»Ja, auf dem Rücksitz.«
»Da lag er einfach so rum?« Ja, ist der Mann denn blind?
»Er steckte in der Ritze zwischen Sitzfläche und Lehne«, erklärt sie und ich nicke verstehend.
»Glaubst du mir, dass es nicht meiner ist?« Sie nickt zögernd. »Glaubst du mir, dass ich ihn verlassen habe?« Eigentlich kann es mir piepegal sein, aber je mehr Abstand ich zu Gregor bekomme, desto schlimmer plagt mich mein schlechtes Gewissen seiner Frau gegenüber. Ich hatte mich immer für einen äußerst loyalen Menschen gehalten. Frauen müssen zusammenhalten und so. Und habe nicht danach gehandelt.
»Er hat mir gesagt, dass er dich verlassen hat«, sagt Anna mit starrer Miene. »Das war also auch gelogen?« Mir bleibt nichts anderes übrig, als mit bedauernder Miene zu nicken. Die Arme! So langsam beneide ich sie nicht mal mehr um den Kerl. »Und wenn ich das richtig sehe, betrügt er mich schon wieder. Mit einer anderen«, fährt sie fort. »Oder wie würdest du das interpretieren?«
»Äh, ja, so ähnlich. Möchtest du vielleicht einen Saft?« stammele ich und springe auf. Irgendwie muss ich die sich aufbauende Spannung abschütteln. Hektisch renne ich zum Kühlschrank, greife nach dem Orangensaft und schenke ein Glas ein, als ich hinter mir ein Schluchzen höre. Oh nein, bitte nicht! Wie erstarrt stehe ich da, den Blick auf die roten Fliesen über dem Spülbecken geheftet, während Gregors Frau in meiner Küche sitzt und weint. Ich atme tief durch, einmal, zweimal. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Noch immer stehe ich mit dem Rücken zu Anna, den Tetrapak in der Rechten, das gefüllte Glas in der linken Hand, und kann mich nicht rühren, bis ihre Stimme mich aus meiner Starre reißt:
»Hast du vielleicht mal ein Taschentuch?«, fragt sie leise und ich drehe mich endlich zu ihr um.
»Ja, natürlich, klar«, antworte ich hektisch, stelle den Saft vor ihr auf den kleinen Tisch, ohne ihr ins Gesicht zu schauen. Dann renne ich aus der Küche, ohne genau zu wissen, weshalb. Nur weg von der weinenden Frau. Ich kann mit dieser Situation einfach nicht umgehen. »Einen Moment, ich hab’s gleich«, rufe ich über die Schulter zurück, während ich die Schubladen der Kommode in meinem Flur nach einer Packung Tempotaschentücher durchforste. Ohne Erfolg. Ich richte mich auf und stürze ins Wohnzimmer. Danach ins Schlafzimmer. Nichts. Man sollte meinen, nachdem ich einen Großteil meiner jüngsten Vergangenheit mit Heulen verbracht habe, sollte ich doch ein einziges läppisches Taschentuch im Haus haben. Aber nein. Wozu gibt es schließlich vierlagiges Toilettenpapier? Ich hole eine Rolle aus dem Badezimmer. Aber was mir für meine eigenen Tränen gut genug war, ist mir vor Anna jetzt irgendwie peinlich. In diesem Moment höre ich sie in der Küche lautstark die Nase hochziehen und beschließe, dass Klopapier immer noch besser ist als nichts. Als ich zurück in die Küche komme, bietet sich mir ein Bild des Jammers. Die Wimperntusche läuft in schwarzen
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