Zauberkusse
Pflichtseminar zum Thema »Lebensmittelreinheit und Ausschankgesetze«, den so genannten »Hackfleischkurs«, hinter mich zu bringen. Den muss jeder besuchen, der einen eigenen gastronomischen Betrieb eröffnen will. Nicht, dass ich denke, dass mir dort jemand irgendetwas Neues erzählen könnte. Aber ich brauche diesen Wisch nun einmal, und damit basta!
Da die Wirkung des Koffeins sich noch nicht einstellen will, trinke ich den nächsten Kaffee ohne Milch und schüttele mich nachdrücklich, als es an der Tür klingelt. Wer kann das denn sein? Schlurfend bewege ich mich zur Gegensprechanlage:
»Wer ist da?« Ich lausche in den Hörer, erhalte aber keine Antwort. »Hallo?«, frage ich erneut, doch als ich wieder nichts höre, lege ich auf. »Dann nicht«, murmele ich, als es erneut klingelt. Durchdringender diesmal. »Ja, wer ist denn da?«, versuche ich es erneut, aber wieder bleibt es unten still. Doch die Klingel schrillt immer wieder, in kurzen Abständen. Vielleicht stimmt was mit meiner Gegensprechanlage nicht und da unten schreit sich jemand die Kehle aus dem Leib? Na ja, es wird schon nicht Mackie Messer sein, beschließe ich und betätige den Türöffner. Aber vielleicht ist es Gregor, fährt es mir durch den Kopf und mein Herz setzt für einen Moment aus. Mit dieser Möglichkeit hatte ich ja eigentlich schon gar nicht mehr gerechnet. Aber wer weiß? Vielleicht hat er mich vermisst? Vielleicht hat er gespürt, dass ich mich emotional von ihm entferne? Dass ich wieder mein Leben in die Hand nehme und mich bemühe, ihn zu vergessen? Nervös fahre ich mir mit den Fingern durchs Haar, öffne meine Wohnungstür und spähe, indem ich den Oberkörper weit über das Geländer lehne, ins Treppenhaus hinunter. Aber es ist nicht Gregor, der da mit entschlossenen Schritten die Stufen zu mir hinaufklettert. Diese Person hat blondes, schulterlanges Haar und wenige Sekunden später bewahrheitet sich meine schlimmste Vermutung: In einem eleganten, dunkelgrünen Hosenanzug unter ihrem schwarzen Wintermantel, auf hochhackigen Pumps, das Gesicht dezent geschminkt, tritt mir Gregors Frau Anna entgegen.
10.
Vierlagig und weich und blau
»Guten Morgen«, wünscht Anna mir, aber ihrem Gesichtsausdruck nach wünscht sie mir etwas ganz anderes. Zum Beispiel die Pest an den Hals.
»Guten Morgen«, stammele ich. Ich werde mir schmerzlich meiner ungewaschenen Haare, dem ausgewaschenen Kapuzensweatshirt und der abgenutzten Jeans bewusst. Während ich beobachte, wie sie in ihrer schicken, schwarzen Aktentasche herumwühlt, frage ich mich, was ich jetzt tun soll. Sie etwa hereinbitten? Einen Kaffee anbieten? Was will sie von mir? »Anna, was willst du hier?«, frage ich.
»Ich will dir etwas zurückgeben«, erwidert sie und im gleichen Moment scheint sie gefunden zu haben, wonach sie gesucht hat. In hohem Bogen fliegt etwas Himmelblaues, Rüschiges durch die Luft, prallt an meinem überraschten Gesicht ab und fällt dann zu Boden, mir direkt vor die Füße. Erstaunt sehe ich auf das Häuflein glänzenden Stoffs am Boden und berühre es leicht mit der großen Zehe. Noch bevor ich fragen kann, um was es sich handelt, geht ein solcher Schwall von Beschimpfungen auf mich nieder, dass mir die Ohren schlackern. Vielleicht ist es gut, dass ich so müde bin und nur die Hälfte verstehe, denn sie benutzt Wörter, die ich nicht mal als pubertierende Göre meiner Schwester an den Kopf geworfen habe.
»Moment jetzt mal«, nutze ich eine kurze Atempause von Anna, um auch mal etwas zu sagen. »Kannst du mir sagen, was das soll?« Und bevor sie weiter rumschreien kann, fahre ich fort: »Ich verstehe, dass du sauer auf mich bist, aber ich habe Gregor seit über vier Wochen weder gesehen noch gesprochen. Ich habe mich von ihm getrennt und …«
»Du hast dich von ihm getrennt?«, fragt Anna scharf und ich nicke. Stumm steht sie da, während ich mich herunterbeuge und das hellblaue Etwas aufhebe, das sich als ein mit Rüschen besetzter Slip herausstellt. Mit spitzen Fingern halte ich das Ding von mir weg und Anna unter die Nase.
»Was fällt dir ein, mir das ins Gesicht zu werfen?«, frage ich nun meinerseits wütend und füge, nach einem genaueren Blick, hinzu: »Er ist verdammt noch mal gebraucht.«
»Ja, von dir«, gibt Anna zurück. »Ich habe ihn im Auto gefunden.«
»Das ist das dämlichste Klischee, das ich je in meinem Leben gehört habe«, fahre ich sie an. »Glaubst du allen Ernstes, ich wäre so blöd, meinen Slip irgendwo zu
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