Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Er war jetzt beinahe absolut sicher, dass Lavoy nicht nur Männer für eine geplante Meuterei um sich scharte, sondern sogar versuchte, auch noch das Schiff auf seine Seite zu ziehen. Amber hatte Recht gehabt, aber er wünschte sich, dass sie es nicht laut ausgesprochen hätte. Aus Gründen, die er noch nicht ganz verstand, hatte Lavoy dafür gesorgt, dass all ihre Gefangenen starben. Das alles war ein bisschen viel auf einmal. Aber Brashen musste damit klarkommen, und er durfte es sich keinesfalls anmerken lassen, dass er sich Sorgen machte. Er war schließlich der Kapitän. Im Interesse seiner Mannschaft und seines Kommandos durfte er keine Gefühle zeigen.
Er stand auf dem Vordeck und beobachtete, wie sie seine Befehle ausführten. Lavoy ging mit einem aufsässigen Blick zurück. Althea lief geduckt, als habe sie der Mut verlassen. Er hoffte, dass die anderen Frauen vernünftig genug waren, sie eine Weile nicht zu stören. Amber war die Letzte, die das Vordeck verließ. Sie blieb kurz neben ihm stehen, als wollte sie etwas sagen. Er erwiderte ihren Blick und schüttelte unmerklich den Kopf. Paragon durfte nicht glauben, dass jemand Brashens Befehle, ihn zu isolieren, in Frage stellte. Er musste das Gefühl haben, dass sein Verhalten von allen missbilligt wurde. Nachdem Amber das Vordeck verlassen hatte, folgte ihr Brashen. Er sagte kein Wort des Abschieds zu dem Schiff und fragte sich, ob Paragon überhaupt darauf achtete.
Paragon wischte sich verstohlen die Hände am Bug ab. Blut war so klebrig. Klebrig und voller Erinnerungen. Er kämpfte dagegen an, den Mann zu absorbieren, den er getötet hatte, aber am Ende bekam das Blut sein Recht. Es drang in seine Hexenholzhände ein, rot und aufgeladen mit Gefühlen. Entsetzen und Schmerz waren die deutlichsten. Nun, wie hatte der Mann denn geglaubt zu sterben, nachdem er sich einmal der Piraterie verschrieben hatte? Er hatte es sich selbst zuzuschreiben. Es war nicht seine, Paragons, Schuld. Er hätte reden sollen, als Lavoy es ihm befohlen hatte. Dann hätte Lavoy ihn sanft getötet.
Außerdem hatte der Pirat gelogen. Er hatte gesagt, dass Kennit Viviace liebte und oft gesagt habe, dass er ein Lebensschiff für sich selbst wollte. Schlimmer noch, er hatte behauptet, dass sich Viviace mit Kennit zusammengetan hätte. Das konnte sie nicht. Sie war nicht seine Familie. Also hatte der Mann gelogen, und deswegen war er gestorben.
Brashen war sehr böse auf ihn. Es war Brashens eigene Schuld, denn er verstand offenbar nicht, dass man jemanden einfach tötete, wenn er einen belog. Es gab viele Dinge, die Brashen nicht verstand, das fand Paragon allmählich heraus.
Lavoy war anders. Der Maat kam zu ihm und plauderte mit ihm, erzählte ihm Seemannsgarn und nannte ihn »mein Junge«.
Und er verstand. Er verstand, dass Paragon so sein musste, wie er war, und dass er all das hatte tun müssen, was er getan hatte.
Lavoy sagte ihm, dass er sich wegen dieser Dinge nicht zu schämen brauchte und nichts zu bereuen hätte. Er stimmte ihm zu, dass die Leute Paragon zu allem getrieben hatten, was er jemals getan hatte. Brashen und Althea und Amber wollten, dass er so wurde wie sie. Sie wollten, dass er so tat, als habe er keine Vergangenheit. Er sollte so sein, wie sie ihn haben wollten, sonst mochten sie ihn nicht. Aber das konnte er nicht. Es gab zu viele Gefühle in ihm, die ihnen nie und nimmer gefallen würden. Trotzdem konnte er nicht einfach aufhören, sie zu empfinden. Zu viele Stimmen hielten ihm seine schlechten Erinnerungen immer und immer wieder vor. Aber ganz leise, sodass er sie kaum hören konnte. Es waren kleine Blutstimmen, die aus der Vergangenheit wimmerten. Was sollte er mit ihnen anfangen? Sie waren nie still, nicht wirklich. Er hatte gelernt, sie zu ignorieren, aber deswegen verschwanden sie noch lange nicht. Dennoch waren selbst sie nicht so schlimm wie anderes in ihm.
Er wischte sich die Hände wieder an seinem Rumpf ab. Also durfte jetzt niemand mit ihm sprechen. Was kümmerte ihn das?
Er brauchte nicht zu reden. Er kam jahrelang ohne Gespräche aus. Oder ohne sich zu rühren. Das hatte er schon vorher erlebt.
Außerdem bezweifelte er sowieso, dass Lavoy diesem Befehl gehorchen würde. Er lauschte dem Geräusch der nackten Füße, als die Männer einem Befehl Lavoys gehorchten. Glaubten sie wirklich, dass sie ihn bestrafen und dann trotzdem von ihm erwarten konnten, munter für sie nach Divvytown zu segeln?
Sie würden schon sehen! Er verschränkte die
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