Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
unmerklich verschoben und würden sie plötzlich ausschließen. Ronica erwartete, dass die Gefährtin sie aus dem Haus jagen würde, wenn das Konzil ihren Beschlüssen zustimmte. Stattdessen hatte die Frau Ronica nachdrücklich aufgefordert zu bleiben. Sie war überaus gnädig und herablassend gewesen, als sie meinte, dass Ronica ihr bestimmt bei ihren Bemühungen helfen könnte, Bingtown wieder zu vereinen. Ronica bezweifelte ihre Aufrichtigkeit. Und sie hoffte, bald den wahren Grund für Serillas Gastfreundschaft herauszufinden. Bis jetzt war ihr dieses Geheimnis verborgen geblieben.
Sie hielt die Luft an, während sie sich bemühte, jedes Wort mitzubekommen, das hinter der Tür gesprochen wurde. »Geflohen? In der Botschaft stand: geflohen?«
»Das brauchten sie nicht zu schreiben«, erwiderte Roed gereizt. »Auf dem Zettel einer Brieftaube haben nicht so viele Worte Platz. Er ist weg, Gefährtin Kekki ist weg und das Mädchen auch. Wenn wir Glück haben, sind sie alle im Fluss ertrunken.
Aber vergesst nicht, dass das Mädchen in Bingtown aufgewachsen und die Tochter einer Seefahrer-Familie ist. Sie kennt sich vermutlich mit einem Boot aus.« Er machte eine Pause.
»Dass man sie zuletzt zusammen in einem kleinen Kahn gesehen hat, riecht für mich nach Verschwörung. Kommt es Euch nicht auch ein bisschen merkwürdig vor? Das Mädchen ist in die versunkene Stadt gegangen und hat sie herausgeholt, mitten in dem schlimmsten Erdbeben, das Trehaug seit Jahren erschütterte. Niemand scheint gesehen zu haben, wie sie verschwunden sind, bis sie später von einem Drachen aus in einem kleinen Boot entdeckt wurden.«
»Was soll das heißen: von einem Drachen?«, unterbrach ihn Serilla.
»Keine Ahnung!«, erklärte Roed ungeduldig. »Ich war noch nie in Trehaug. Ich nehme an, dass es sich um den Namen eines Turms oder einer Brücke handelt. Was spielt das schon für eine Rolle? Wir haben den Satrapen nicht mehr unter Kontrolle. Jetzt kann alles passieren.«
»Ich würde diesen Teil der Botschaft gern selbst lesen«, sagte die Gefährtin zögernd. Ronica runzelte die Stirn. Die Botschaften gelangten in Roeds Hände, bevor Serilla sie lesen konnte?
»Das könnt Ihr nicht. Ich habe sie sofort vernichtet, nachdem ich sie gelesen habe. Es ist unnötig, das Risiko einzugehen, dass diese Information andere in Bingtown früher als nötig erreicht. Ich versichere Euch, dass es sowieso nicht lange unser Geheimnis bleiben wird. Viele Händler halten engen Kontakt zu ihren Regenwildverwandten. Andere Botenvögel werden diese Nachricht ebenfalls verbreiten. Deshalb müssen wir schnell und entschieden handeln, bevor die anderen aufbegehren und in dieser Angelegenheit mitreden wollen.«
»Ich verstehe das einfach nicht. Wie konnte das passieren?«
Die Gefährtin klang bestürzt. »Sie haben mir versprochen, ihn dort bequem und sicher unterzubringen. Als er hier weggegangen ist, habe ich ihn davon überzeugt, dass es das Sicherste für sein eigenes Wohlergehen wäre. Warum sollte er seine Meinung ändern? Warum sollte er fliehen? Was hat er vor?«
Ronica hörte, wie Roed verächtlich lachte. »Der Satrap mag ein junger Mann sein, aber er ist kein Narr. Denselben Fehler machen die Leute oft bei mir. Nicht die Zahl der Jahre, sondern das Erbe der Macht ist es, das einen Mann dazu befähigt, Befehle zu geben. Der Satrap wurde in die Macht hineingeboren, Gefährtin. Sicher, Ihr behauptet, er achte nicht auf die Feinheit der Politik, aber er kann trotzdem nicht blind für Euren Versuch sein, Einfluss zu gewinnen. Vielleicht fürchtet er ja genau das, was Ihr gerade tut: die Macht an seiner Stelle zu übernehmen, mit seiner Stimme zu sprechen und statt seiner die Entscheidungen hier in Bingtown zu treffen. Nach allem, was ich gesehen und von Euch gehört habe, glaube ich kaum, dass Eure Worte wirklich der ehrlichen Meinung des Satrapen entsprechen. Lasst uns alle Verstellung ablegen. Ihr wisst, dass er seine Macht über uns missbraucht hat. Und ich weiß, was Ihr vorhabt: Ihr möchtet gern seine Macht für Euch selbst sichern und uns besser regieren, als er das getan hat.«
Ronica hörte seine Schritte, als er in dem Zimmer umherging.
Sie trat etwas von der Tür zurück. Die Gefährtin schwieg.
Roeds Stimme hatte jeden Charme verloren, als er weiterredete. »Wir wollen offen zueinander sein. Wir haben ein gemeinsames Interesse, Ihr und ich. Wir wollen beide, dass Bingtown wieder zu dem wird, was es einmal war. Um uns herum fordern die
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