Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Kadaver hinterlassen.
Die Regenwildstraße bestand nur noch aus einer Reihe verbarrikadierter Fassaden und verlassener Läden. Dreimal musste ihre Kutsche vor einer Barrikade aus Müll umkehren.
Serilla hatte eigentlich Händler und Nachbarn suchen wollen, die sich bemühten, die Stadt wieder aufzubauen. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie ihrer Kutsche entsteigen, sie begrüßen und ihre Bemühungen loben würde. Ihre Absicht war gewesen, ihre Loyalität und ihre Zuneigung zu gewinnen. Stattdessen hatte sie jedoch nur gehetzte Flüchtlinge gesehen, die mürrisch und abweisend wirkten. Niemand hatte sie begrüßt. Kurzerhand war sie in Davads Haus zurückgekehrt und hatte sich einfach ins Bett fallen lassen.
Sie fühlte sich betrogen. Bingtown war die glänzende Seifenblase, die sie schon immer hatte besitzen wollen. Sie war so weit gekommen und hatte so viel Strapazen ertragen – und nun dieses Chaos. Als wenn das Schicksal ihr keine Freude gönnte, hatte die Stadt sich in dem Moment, in dem Serilla ihr Ziel erreicht zu haben glaubte, selbst zerstört. Insgeheim spielte sie mit dem Gedanken, ihre Niederlage einzugestehen, ein Schiff zu besteigen und nach Jamaillia-Stadt zurückzukehren.
Aber es gab keine sichere Passage nach Jamaillia mehr. Die Chalcedeaner lauerten jedem Schiff auf, das versuchte, in den Hafen von Bingtown einzulaufen. Und was erwartete sie in Jamaillia-Stadt, wenn sie doch irgendwie dorthin gelangen konnte? Das Komplott gegen den Satrapen hatte schließlich dort seinen Ursprung. Vielleicht betrachtete man sie als Zeugin und Bedrohung. Jemand würde eine Möglichkeit finden, sie zu eliminieren. Sie war von dem Moment an verdächtig geworden, als der Satrap verkündet hatte, dass er Jamaillia verlassen und Bingtown und danach Chalced besuchen wollte. Der Adel und seine Ratgeber hätten lautstark dagegen protestieren müssen, denn es kam selten vor, dass ein Satrap die Grenzen Jamaillias so weit hinter sich ließ. Doch statt Protest hatte er Zuspruch geerntet. Serilla seufzte leise. Dieselben Höflinge, die ihn schon in frühester Jugend die Freuden des Fleisches, des Weins und der berauschenden Kräuter gelehrt hatten, hatten ihm jetzt auch zugeraten, die Regierung des Landes vollkommen in ihre Hände zu legen, während er in der Obhut höchst fragwürdiger Alliierter durch feindliche Gewässer reiste.
Leichtgläubig und faul wie er war, hatte er ihren Köder geschluckt. Angelockt von den Einladungen seiner chalcedeanischen »Bundesgenossen«, den versprochenen exotischen Drogen und noch exotischeren fleischlichen Genüssen, hatte man ihn von seinem Thron fortgeführt wie ein Kind, das man mit Süßigkeiten und Spielsachen lockte. Seine »höchst loyalen«
Anhänger, die ihn immer ermutigt hatten, seinen eigenen Weg zu gehen, hatten das nur getan, um ihn zu entmachten.
Schlagartig wurde ihr etwas klar. Es kümmerte sie wenig, was mit dem Satrapen und seiner Autorität in Jamaillia geschah. Sie wollte seine Macht nur in Bingtown bewahren, damit sie sie für sich in Anspruch nehmen konnte. Das bedeutete, sie musste herausfinden, wer in Bingtown so bereitwillig bei seiner Entmachtung geholfen hatte. Dieselben Leute würden auch versuchen, sie loszuwerden.
Einen Augenblick wünschte sie, sie hätte mehr über Chalced gelernt. In der Kabine des chalcedeanischen Kapitäns hatte es Briefe gegeben. Sie waren zwar in jamaillianischer Schrift gewesen, aber in chalcedeanischer Sprache. Sie hatte die Namen zweier hoher jamaillianischer Adliger entziffert, daneben waren große Geldsummen notiert. Serilla hatte gespürt, dass sie den Schlüssel zu der Verschwörung in der Hand hielt. Wer hatte die Chalcedeaner bezahlt? Oder waren sie diejenigen gewesen, die gezahlt hatten? Wenn sie nur in der Lage gewesen wäre, diese Briefe zu lesen, als der chalcedeanische Kapitän sie in seiner Kabine gefangen gehalten hatte…
Sie hasste das, was diese Tage der Gefangenschaft und der fortgesetzten Vergewaltigung aus ihr gemacht hatten. Sie hatten sie unwiderruflich verändert, und zwar auf eine Art, die sie verachtete. Sie konnte nicht vergessen, dass der chalcedeanische Kapitän vollkommene Kontrolle über sie gehabt hatte. Sie konnte nicht vergessen, dass der Satrap, der unreife, verdorbene, selbstverliebte Satrap, die Macht besessen hatte, sie in eine solche Lage zu bringen. Es hatte für immer ihr Bild von sich selbst verändert. Und es hatte ihr vor Augen geführt, wie viel Macht Männer über sie besaßen. Nun,
Weitere Kostenlose Bücher