Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
weiten, trägen Kreis und suchte das Land unter sich nach vertrauten Orientierungspunkten ab. Alle waren verschwunden. In den vergangenen Jahren hatte der Fluss seinen Lauf geändert. Überflutungen und Erdstöße hatten das Land zahllose Male umgebildet. Ihre uralten Erinnerungen berichteten von vielerlei Veränderungen in der Topografie dieses Gebiets. Doch die Veränderungen, die sie jetzt sah, waren noch radikaler als alle, die ihr Volk jemals miterlebt hatte. Sie fühlte, dass das ganze Land abgesunken war. Der Fluss schien breiter und flacher zu sein. Wo einmal der Schlangenfluss reißend dem Meer entgegengeströmt war, wand sich jetzt der Regenwildfluss in einem trägen Mäander aus Sumpf und Marsch.
Die Menschenstadt Trehaug war neben den versunkenen Ruinen der alten Stadt Frengong erbaut worden. Die Altvorderen hatten diesen Platz für die Stadt ausgewählt, um nahe bei den Kokongründen der Drachen sein zu können. Früher einmal hatte der Schlangenfluss an dieser Biegung weite Untiefen aufgewiesen. Dort hatte der Erinnerungsstein wie silbrig schwarzer Sand auf einem glänzenden Strand gefunkelt. In lange vergangenen Zeiten hatten sich die Schlangen aus dem Fluss auf diese geschützten Strände gewälzt. Mit Hilfe der erwachsenen Drachen hatten die Schlangen ihre Kokons aus langen Speichelfäden geformt, die mit diesem Erinnerungssand gemischt waren.
In jedem Herbst überfluteten die Kokons den Strand wie ein Meer von ungeheuren Samenschoten, die auf den Frühling warteten. Drachen und Altvordere hatten über diese Kokons gewacht, welche die Kreaturen beschützten, die in ihrem Inneren den ganzen Winter über ihre Metamorphose durchliefen.
Wenn dann schließlich das Licht des Sommers kam, berührte es die Kokons und weckte die Kreaturen auf, die darin schliefen.
Vergangen, alles vergangen. Strand und Altvordere und Wächterdrachen, alle fort. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass Frengong nicht der einzige Kokonstrand war. Es hatte noch andere gegeben, weiter oben am Schlangenfluss.
Zerrissen zwischen Hoffnung und Furcht, folgte sie dem Band des Wassers flussaufwärts. Sie mochte vielleicht das Land nicht mehr erkennen, aber die Altvorderen hatten in der Nähe von Kokonstränden eigene Städte erbaut. Sicher war von diesen ausgedehnten Komplexen aus Steingebäuden und gepflasterten Straßen noch etwas erhalten. Wenn nicht, konnte sie noch die Stellen erkunden, wo ihre Spezies gebrütet hatte.
Möglicherweise, so hoffte sie, hatten sogar in einigen dieser uralten Städte die Verbündeten der Drachen überlebt. Wenn sie schon keine Artverwandten mehr aufspüren konnte, stieß sie vielleicht auf jemanden, der ihr sagen konnte, was aus ihnen geworden war.
Die Sonne brannte gnadenlos vom blauen Himmel herunter.
Die ferne gelbe Scheibe verhieß Wärme, aber der permanente Dunst über dem Fluss dämpfte sie und ließ sie alle frieren.
Maltas Haut fühlte sich wund an. Und ihre zerfressenen Gewänder zeigten ganz deutlich, dass dieser Dunst genauso ätzend war wie das Flusswasser selbst. Ihr Körper war von Insektenstichen übersät, die ständig juckten, aber ihre Haut war so angegriffen, dass sie sofort blutete, wenn sie sich kratzte.
Das grausame Glitzern der Sonne auf dem Wasser brannte ihr in den Augen. In dem winzigen Boot fand sie keine bequeme Ruheposition, denn die blanken Holzbänke waren nicht breit genug, um darauf zu liegen. Das Einzige, was sie tun konnte, war, sich halb zurückzulehnen und die Arme über die Augen zu legen.
Am schlimmsten quälte sie der Durst. Dass ihre Kehle austrocknete, während sie gleichzeitig von Wasser umgeben war, welches sie nicht trinken konnte, war die reinste Folter. Als Malta gesehen hatte, wie Kekki eine Hand voll Wasser geschöpft und an den Mund geführt hatte, war sie aufgesprungen und hatte sie angeschrieen, damit aufzuhören. Dem Schweigen der Gefährtin sowie ihren aufgequollenen und wunden Lippen nach zu urteilen hatte Kekki offenbar trotzdem dieser Versuchung heimlich nachgegeben, und zwar mehr als einmal.
Malta lag in dem kleinen schwankenden Kahn, während der Fluss ihn mit sich forttrug, und fragte sich, warum es sie überhaupt kümmerte. Sie wusste keine Antwort, aber trotzdem machte es sie wütend zu wissen, dass die Frau Wasser trank, das sie schließlich umbringen würde. Sie beobachtete die Gefährtin. Malta hätte das vornehme grüne Seidenkleid der Frau früher einmal mit Neid betrachtet. Doch jetzt war es noch zerfetzter als Maltas
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