Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Piratenfahrt, und meine Mannschaft wird dir Flügel aus Leinwand geben. Mit uns kannst du über die Wellen fliegen. Du kannst wieder jagen, Drache. Wenn die alten Legenden Recht haben, sollte dich das mehr als nur amüsieren.«
Sie kicherte erneut. »Also akzeptierst du meine Bedingungen?«
Kennit richtete sich auf. »Ich werde darüber schlafen.«
»Du akzeptierst sie«, erwiderte sie, ohne ihn anzublicken.
Er würdigte sie keiner Antwort. Stattdessen packte er seine Krücke fester und arbeitete sich behutsam über das Deck zurück. An der Leiter setzte er sich auf die Planken und kletterte umständlich hinunter. Als er an zwei Matrosen vorbeihumpelte, nickte er ihnen kurz zu. Sie waren klug genug, sich nicht anmerken zu lassen, ob sie das Gespräch ihres Kapitäns mit dem Schiff belauscht hatten.
Als er das Hauptdeck überquerte, gab er sich dem Triumph hin. Er hatte es vollbracht. Er hatte das Schiff wieder ins Leben zurückgeholt, und sie würde ihm wieder dienen. Ihre Bedingungen schob er achtlos beiseite. Was konnte es schon geben, das sie für sich wollte? Sie brauchte sich weder zu paaren noch zu essen, ja sie musste nicht einmal schlafen. Was konnte sie schon verlangen, was er ihr nicht mit Leichtigkeit geben konnte? Es war eine sehr gute Vereinbarung.
»Sie ist weiser, als du ahnst«, piepste sein Amulett. »Es ist ein Pakt, der dir Größe verleihen wird.«
»Ach wirklich?«, knurrte Kennit. Er wollte nicht einmal seinem Talisman sein Hochgefühl zeigen. »Ich habe so meine Bedenken. Und das umso mehr, als du das bestätigst.«
»Vertrau mir«, sagte das Amulett. »Habe ich dich jemals in die Irre geführt?«
»Dir zu vertrauen heißt, einem Drachen zu vertrauen«, konterte Kennit leise. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass ihn niemand beobachtete. Er hielt sich das Handgelenk vor die Augen. Im Mondlicht erkannte er von den winzigen Gesichtszügen des Talismans nur die rotglühenden Augen.
»Hat Wintrow Recht gehabt? Bist du ein Überbleibsel eines totgeborenen Drachen?«
Das kurze Schweigen verriet mehr als alle Worte. »Und wenn?«, fragte das Amulett schließlich gelassen. »Trage ich nicht dein Gesicht? Frag dich dies: Verbirgst du den Drachen, oder verbirgt der Drachen dich?«
Kennits Herz hämmerte hart in seiner Brust. Und der Wind ließ die Takelage ächzen. Kennit standen die Haare zu Berge.
»Du redest Unsinn«, erwiderte er mürrisch. Er ließ die Hand sinken und umfasste die Krücke. Während er weiterging, zu seiner Koje, um dort endlich zu ruhen, ignorierte er das kaum hörbare Kichern des Dings, das er um sein Handgelenk gebunden hatte.
Ihre Stimme war eingerostet. Sie hatte schon früher gesungen, zu sich selbst, in ihrem Becken in der Höhle, dem Gefängnis, das sie beinahe in den Wahnsinn trieb. Ihre Stimme hatte schrill und gebrochen geklungen, während sie sich trotzig gegen die Steinwände und Eisenstangen ihres Kerkers geworfen hatte.
Aber das hier war anders. Sie erhob ihre Stimme in der Nacht und sang das uralte Lied der Sammlung. »Kommt«, hieß es da, und es war an jeden gerichtet, der es hören konnte. »Kommt, denn die Zeit der Sammlung ist da. Kommt, und nehmt Anteil an den Erinnerungen, kommt, lasst uns zusammen reisen, zurück zum Ort des Anfangs. Kommt.«
Es war ein einfaches Lied, und es sollte freudvoll sein. Es sollte von einem ganzen Chor von Stimmen gesungen werden.
Von einer einzelnen Stimme intoniert, klang es schwach und kläglich. Als sie sich aus der Fülle in die Leere schwang und es unter dem Nachthimmel sang, klang es noch dünner. Sie holte tief Luft und sang weiter, lauter und trotziger. Sie konnte nicht sagen, wen sie rief; es gab keine frische Spur von Schlangenduft im Wasser, sondern nur den Geruch des Schiffes, der sie noch verrückt machte. Das Schiff, dem sie folgte, strahlte etwas aus, das eine Verwandtschaft suggerierte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie mit einem Schiff verwandt sein sollte, und trotzdem konnte sie die quälenden Gifte nicht ignorieren, die von dem Rumpf des Schiffes ausstrahlten. Sie holte Luft und sang weiter.
»Kommt, gesellt Euch zu Euresgleichen, und gebt den Schwächeren Kraft. Zusammen, zusammen reisen wir, zurück zu unseren Anfängen und zu unserem Ende. Sammelt Euch, ufergeborene Kreaturen des Meeres, um wieder an diese Ufer zurückzukehren. Bringt Eure Träume vom Himmel und von Flügeln mit, kommt und habt Anteil an den Erinnerungen unseres Lebens. Unsere Zeit ist gekommen. Unsere
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