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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Zeit ist gekommen.«
    Die letzten hohen Töne des Liedes verklangen und wurden vom Wind weggetragen. Die, die sich erinnert, wartete auf eine Antwort. Aber es kam keine. Dennoch, als sie wieder in den Wellen versank, kam es ihr so vor, als hätten die Gifte, die aus dem Schiff drangen, an Substanz und Geschmack gewonnen.
    Ich verspotte und quäle mich selbst, ermahnte sie sich. Vielleicht war sie wirklich verrückt. Vielleicht war sie ja nur in die Freiheit zurückgekehrt, um Zeugin des Endes ihrer ganzen Art zu werden. Verzweiflung umhüllte sie und versuchte, sie niederzuringen. Doch statt sich ihr zu ergeben, nahm sie wieder ihre Position hinter dem Schiff ein. Sie würde ihm folgen, wohin es sie auch führen mochte.

8. Herr der drei Reiche

    Tintaglias zweites Opfer war ein Bär. Sie maß sich mit ihm, Räuber gegen Räuber, der Schlag ihrer mächtigen Schwingen gegen die ungeheuren Klauen an seinen Tatzen. Sie siegte, natürlich, und riss seinen Bauch auf, labte sich an seiner Leber und seinem Herzen. Der Kampf befriedigte etwas in ihrer Seele. Er lieferte ihr den Beweis, dass sie nicht länger ein hilfloses, schwaches Geschöpf war, gefangen im Sarg ihres eigenen Körpers. Sie hatte die Menschen abgeschüttelt, die so dumm gewesen waren, die Körper ihrer Geschwister zu zerschneiden.
    Allerdings waren nicht sie es gewesen, die sie eingesperrt hatten. Und zudem hatten sie ihre Spezies aus Unwissenheit abgeschlachtet, jedenfalls meistenteils. Immerhin hatten sich zwei freiwillig opfern wollen, um sie zu befreien. Es oblag nicht ihr, zu entscheiden, ob die Schuld der Morde von dieser Rettungstat aufgewogen wurde. Jetzt hatte sie die Menschen jedenfalls für alle Zeit hinter sich gelassen. So süß Rache auch sein mochte, es hätte die wenigen ihrer Art nicht gerettet, die vielleicht noch überlebt hatten. Ihre vordringlichste Pflicht galt ihnen.
    Nachdem sie gefressen hatte, schlief sie eine Weile. Der honigfarbene Sonnenschein des Herbstes wärmte sie an diesem langen Nachmittag. Als sie aufwachte, war sie bereit, weiterzuziehen. Während des Schlafes hatte sie ihre nächsten Schritte überlegt. Wenn welche von ihrem Volk überlebt hatten, befanden sie sich gewiss in ihren alten Jagdgründen. Dort würde sie zuerst nach ihnen suchen.
    Also war sie vom Kadaver des Bären aufgestiegen, auf dessen ranzigem Fleisch bereits Hunderte von glitzernden Schmeißfliegen summten. Sie hatte ihre Schwingen entfaltet und die frische Kraft gespürt, die sie aus dieser Mahlzeit gewonnen hatte. Es hätte ihrer Natur mehr entsprochen, wenn sie im Frühling geschlüpft wäre und den ganzen Sommer über hätte wachsen und reifen können, bevor der Winter kam. Sie wusste, dass sie in diesen schwindenden Herbsttagen sooft wie möglich jagen und fressen musste, um ihre Körperkraft zu steigern, bevor der Winter kam. Nun, das würde sie auch tun, denn ihr eigenes Überleben hatte oberste Priorität. Aber gleichzeitig würde sie auch nach ihrem Volk suchen. Sie schwang sich von dem sonnigen Hügel empor, an dem der Bär sein Ende gefunden hatte, und stieg mit gleichmäßigen Flügelschlägen in den Himmel.
    Sie flog hoch bis dorthin, wo der Wind stärker war, und hängte sich an seine Strömungen. In großen Spiralen kreiste sie über dem Land. Dabei hielt sie unablässig Ausschau nach einem Lebenszeichen ihrer Spezies. Die schlammigen Flussufer und Untiefen hätten eigentlich die Spuren von Drachen tragen sollen, die sich im Schlamm wälzten. Aber es gab keine. Sie stieg weiter über die luftigen Felsklippen, die ideal zum Sonnenbaden und zur Paarung waren, aber keine von ihnen trug die Reviermarkierungen und Schlagspuren, die eine Nutzung durch Drachen verraten hätten. Ihre Augen waren schärfer als die eines Falken, doch sie sah keinen anderen Drachen, der auf den Luftströmungen über dem Fluss ritt. Der weite Himmel war bis zum Horizont blau und leer, ohne Drachen. Ihr Geruchssinn war mindestens ebenso gut entwickelt wie ihr Sehvermögen, und dennoch trug er ihr keinen Duft eines Männchens zu, nicht einmal eine alte Reviermarkierung. In dem gesamten weiten, breiten Flusstal war sie vollkommen allein. Die Herren der Drei Reiche waren von Drachenblut, sie beherrschten den Himmel, die Meere und die Erde. Nichts kam ihnen an Großartigkeit und Intelligenz gleich. Wie konnten sie alle verschwunden sein? Es war Tintaglia vollkommen unverständlich. Irgendjemand musste doch irgendwo überlebt haben. Sie würde sie finden.
    Sie flog einen

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