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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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nur blutverschmierte Blätter und Abfälle hinterlassen, die von seiner Existenz zeugten. Dann war sie weitergeflogen.
    Ihre Unersättlichkeit flößte ihr beinahe Angst ein. Den restlichen Nachmittag flog sie tiefer weiter, jagte, während sie reiste, und schlug noch zwei Tiere. Ein Reh und einen zweiten Eber. Sie genügten, um ihren Hunger zu stillen, mehr aber nicht. Ihr knurrender Magen lenkte sie von ihrer eigentlichen Absicht ab. Irgendwann hob sie den Blick und ließ ihn über die weitere Umgebung streifen. Ihr wurde plötzlich klar, dass sie gar nicht darauf geachtet hatte, wohin sie flog. Sie konnte den Fluss nicht mehr sehen.
    Sie zwang sich dazu, nicht mehr an ihren Magen zu denken.
    Schnell erhob sie sich über das weite Sumpfland, bis sie zu dem verschlungenen Band des Flusses zurückkam. Hier standen die Bäume sogar mitten im Wasser, und die moorigen Ufer des Flusses erstreckten sich weit bis unter das grüne Blätterdach. Hier sah es alles andere als vielversprechend aus. Erneut flog sie stromaufwärts, aber diesmal trieb sie sich an, flog, so schnell sie konnte, und suchte dabei die ganze Zeit nach einem bekannten Orientierungspunkt oder einem Anzeichen für eine Siedlung der Altvorderen. Allmählich wurde der Fluss wieder breiter. Als sie ins Vorgebirge flog, säumte Gras die Uferränder. Das Land war hier fester, mehr Wald als Sumpf. Plötzlich begriff sie, wo sie war. Am Horizont sah sie an einer Flussbiegung den Turm von Kelsingra. Er glänzte in der untergehenden Sonne, und sie schöpfte wieder Mut. Er stand noch, und ihre scharfen Augen nahmen Einzelheiten der anderen Gebäude auf.
    Im nächsten Augenblick jedoch traf sie die Enttäuschung wie ein Schlag. Sie konnte weder den Geruch von Schornsteinrauch noch den der Gießerei oder der Schmiede wahrnehmen.
    Sie flog auf die Stadt zu. Je näher sie ihr kam, desto offensichtlicher wurde, dass sie tot war. Die Straße war nicht nur vollkommen leer, an einer Stelle hatte sie sogar ein Erdrutsch ganz und gar vernichtet. Die Erinnerungssteine wussten noch dunkel, dass man sie einmal Straße genannt hatte. Sie konnte die gefangenen Erinnerungen der Händler, Soldaten und reisenden Kaufleute spüren, die einst über sie gegangen waren.
    Gras und Moos hatten ihr nichts anhaben können. Die Straße glänzte schwarz wie eh und je, verlief gerade und eben auf die Stadt zu. Die Straße selbst nannte sich noch Hauptstraße, aber sonst tat es keiner mehr. Tintaglia kreiste über der verlassenen Stadt und blickte auf die Zerstörung hinab. Die Altvorderen hatten diese Stadt für die Ewigkeit gebaut; sie waren davon ausgegangen, dass sie immer auf ihren Straßen flanieren und ihre eleganten Häuser bewohnen würden. Jetzt verhöhnte ihre Leere solche vergänglichen Illusionen. Irgendwann einmal hatte ein heftiger Erdstoß die Stadt zweigeteilt, und der Fluss hatte das versunkene Stück für sich beansprucht. Sie konnte die Trümmer zerstörter Gebäude in der Tiefe erkennen. Tintaglia blinzelte und zwang sich, die Stadt so zu sehen, wie sie war, und nicht so, wie der Erinnerungsstein sie ihr ins Gedächtnis rief. Die Altvorderen hatten sie erbaut, hatten die Erinnerungssteine geschnitten und sie hierher gebracht, um ihre schöne Stadt auf der Ebene neben dem Fluss zu erbauen. Sie hatten den Stein geformt, ihn in ihr Konzept von dem gepresst, was sein sollte. Und die Stadt stand vertrauensvoll und schweigend da.
    Tintaglia kam in diese Stadt, wie die Drachen es schon immer getan hatten, und hätte sich dabei beinahe selbst umgebracht.
    Immer, so sagten es ihr die uralten Erinnerungen, waren die Drachen hier angekommen, indem sie im Fluss selbst gelandet waren. So machten sie aus ihrer Ankunft ein spektakuläres Ereignis. Der Sturz aus dem blauen Himmel in das kühle Wasser erzeugte eine gewaltige Gischt. Die Landung eines Drachen ließ alle Schiffe an ihren Liegeplätzen schwanken. Das Wasser dämpfte die Landung ab, und der Drache stieg anschließend aus den kühlen Tiefen an den Kieselstrand, wo er das jubelnde und wartende Volk begrüßte.
    Der Fluss war aber mittlerweile viel flacher, als ihre uralten Erinnerungen es ihr sagten. Statt vollkommen in ihm zu versinken und sich von dem Wasser abfangen zu lassen, landete Tintaglia mit einem heftigen Krachen. Der Fluss reichte ihr kaum bis an die Schulter, und sie konnte von Glück sagen, dass sie sich nicht die Beine brach. Nur die Polsterung ihrer gewaltigen Muskeln bewahrte sie vor Schaden. Sie brach sich zwei

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