Zaubersommer in Friday Harbor
sie
dachte intensiv darüber nach. Man musste das Glas tun lassen, was es wollte.
Ihm eher ein Partner sein, als zu versuchen, es zu kontrollieren, es sanft und
trotzdem mit Kraft behandeln. „Weiblich”, antwortete sie schließlich.
„Wie steht es mit dem Wein? Weiblich oder männlich?”
„Das
französische Wort für Wein – vin – ist
männlich. Aber meines Erachtens hängt das vom Wein ab. Natürlich ...”, Sam
grinste sie an, „...wird die sexistische Sprache in der Welt des Weines nicht
von allen gern gesehen. Zum Beispiel die Beschreibung eines Chardonnay als
feminin, wenn er leicht und duftig ist, oder einen Cabernet als maskulin zu
bezeichnen. Aber manchmal gibt es keine andere Möglichkeit, den Charakter zu
beschreiben.” Er wandte sich wieder dem Entwurf zu. „Hast du schon mal
Probleme gehabt, eins deiner Werke herzugeben?”
„Ich habe
immer Probleme damit. Nichts gebe ich gerne her”, antwortete Lucy
selbstironisch lächelnd. „Aber es fällt mir immer leichter.”
Schließlich
verließen sie das Atelier und gingen hinüber zu der Wohnung. Die Straßen von
Friday Harbor, durch die sie flanierten, waren gesäumt von einem bunten Mix aus
eleganten Kunstgalerien, trendigen Restaurants, altmodischen Eisdielen und
gemütlichen Cafés. Das gelegentliche Dröhnen der
Schiffssirene einer anlegenden Fähre tat der entspannten Atmosphäre des
Viertels keinen Abbruch. Gerüche nach Sonnenmilch, gegrillten Meeresfrüchten,
Salzwasser und Diesel lagen in der Luft.
Die Wohnung
gehörte zu einem gemischt genutzten Komplex an der West Street. Ein
gepflasterter Fußweg führte von dort hinunter zur Front Street. Passend zur
modernen schlichten Fassade hatte das Gebäude eine Dachterrasse und bodentiefe
Fenster. Lucy versuchte gar nicht erst, ihre Bewunderung zu verbergen, als sie
die Wohnung betraten. Sie war mit einigen wenigen, aber neuen und
geschmackvollen Stücken möbliert und in naturbelassenem Holz sowie hellen Blau-
und warmen Erdtönen gehalten.
„Was meinst
du?”, fragte Sam und sah zu, wie Lucy den Blick aus jedem Fenster des
Hauptraums testete.
„Wundervoll”,
sagte sie wehmütig. „Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht
leisten.”
„Woher
willst du das wissen? Wir haben doch noch gar nicht über die Höhe der Miete
gesprochen.”
„Weil diese
Wohnung schöner ist als jede andere, in der ich jemals gelebt habe, und nicht
einmal die könnte ich mir zurzeit leisten.”
„Mark ist
sehr daran gelegen, dass hier wieder jemand einzieht. Und diese Wohnung passt
einfach nicht zu jedem.”
„Wem könnte
sie nicht gefallen?”
„Leuten,
die was gegen Treppen haben. Leuten, die Wert auf mehr Privatsphäre legen, als
diese Riesenfensterfront zulässt.
Ich finde sie vollkommen.”
„Dann
werden wir uns einig werden.”
„Was soll
das heißen?”, fragte Lucy, plötzlich misstrauisch geworden.
„Das soll
heißen: Ich sorge dafür, dass die Miete deine Möglichkeiten nicht
übersteigt.”
Sie
schüttelte den Kopf. „Ich will dir nicht verpflichtet sein.”
„Das wärst du
auch nicht.”
„Natürlich
wäre ich das, wenn ich dir gestatte, mir einen Gefallen zu tun. Vor allem wenn
es um einen finanziellen Gefallen geht.”
Sam zog die
Brauen zusammen. „Du glaubst, ich würde versuchen, deine Situation
auszunutzen?” Er trat näher, und Lucy wich instinktiv zurück, bis sie mit
dem Rücken an die Granitarbeitsplatte der Küchenzeile stieß. „Du erwartest,
dass ich eines Tages hier aufkreuze, mit Zylinder und Schnurrbart, und von dir
Sex verlange statt Miete?”
„Natürlich
erwarte ich das nicht.” Nervös begann Lucy, zu zappeln, als er seine Hände
links und rechts von ihr auf die Arbeitsplatte stützte. „Es ist nur so ... ich
fühle mich mit dieser Situation nicht wohl.”
Sam beugte
sich über sie, ohne sie zu berühren. Er stand so nah, dass sie unwillkürlich
auf seinen leicht gebräunten Hals starrte.
„Lucy, du
benimmst dich so, als wollte ich dich zu etwas drängen. Das tue ich nicht. Wenn
sich herausstellen sollte, dass du an mehr als nur Freundschaft interessiert
bist, werde ich mich darüber freuen wie ein Spatz, der ein Stück Pommes gefunden
hat. Aber fürs Erste wäre ich schon froh, wenn du mich nicht in eine Schublade
mit solchen Arschlöchern wie Kevin Pearson steckst.”
Lucy blinzelte
verblüfft, und ihr stockte der Atem. „Wo... woher kennst du seinen Namen?”
„Er kam
gestern auf mein Weingut und sagte, er müsse mich um einen
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