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Zaubersommer in Friday Harbor

Zaubersommer in Friday Harbor

Titel: Zaubersommer in Friday Harbor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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„Betrachte Sam einfach als Attraktion am Wegesrand, die sich unerwartet
als toller Spaß erweist.”
    Lucy warf
ihr einen skeptischen Blick zu. „So was wie das weltgrößte Garnknäuel? Oder
Carhenge in Nebraska?”
    Obwohl die
Frage ironisch gemeint war, reagierte Justine geradezu enthusiastisch. „Genau.
Oder vielleicht ein großer Jahrmarkt mit Achterbahn und hypermodernen
Karussells.”
    „Ich hasse
so etwas”, gab Lucy zurück. „Man hat das Gefühl, irgendwohin zu fliegen,
aber wenn die Fahrt vorbei ist, findet man sich da wieder, wo man losgeflogen
ist. Obendrein ist einem schwindelig und schlecht.”
    Auf Lucys
Einladung besuchte Sam sie am Nachmittag in ihrem Atelier. Er trug eine
abgetragene Jeans und ein schwarzes Polohemd. In seinem gebräunten Gesicht
leuchteten seine Augen überraschend hell, sodass sie beinahe türkis wirkten. Als
sie ihn begrüßte, machte sich ein nervöses Zucken in ihrem Magen bemerkbar.
    „Hübsch
hast du's hier”, sagte Sam und schaute sich im Atelier um.
    „Das war
mal eine Garage, aber der Eigentümer hat sie umgebaut”, erklärte Lucy. Sie
zeigte ihm ihre Montage- und Leuchttische sowie die Regale voller Fächer mit
geschnittenen Glasplatten, aus denen sie ihre Buntglasfenster fertigte. In einem
Regalfach bewahrte sie Dosen mit Lack, Fensterkitt und Schlämmkreide auf;
daneben lagen in ordentlichen Reihen ihre Werkzeuge, Bürsten und Pinsel. Den
meisten Platz nahmen jedoch deckenhohe Glasregale ein. „Ich sammele jedes
Stückchen Glas, das ich finde”, erklärte Lucy. „Manchmal schlachte ich
sogar kaputte antike Glasarbeiten aus, weil ich die Teile für Restaurierungsarbeiten
an historischen Werken gebrauchen könnte.”
    „Was ist
das?” Sam trat an einen wahren Schatz aus blaugrünem, silbern
überlaufenem Glas heran. „Es ist wunderschön.”
    Sie trat
neben ihn und strich mit ihren Fingern über eine der Glasscheiben. „Oh, das ist
mein Schnäppchen des Jahres. Es sollte ursprünglich für eine große öffentliche
Kunstinstallation in Tacoma
verwendet werden, aber die Fördermittel wurden gestrichen, und all dieses
herrliche experimentelle Glas lag über zwanzig Jahre ungenutzt in irgendeiner
Scheune herum. Dann wollte der Typ, dem die Scheune gehört, das Zeug loswerden,
und ein gemeinsamer Freund erzählte mir davon. Ich habe die ganze Ladung
praktisch geschenkt bekommen.”
    „Was willst
du daraus machen?”, fragte Sam, lächelnd über ihre Begeisterung.
    „Weiß ich
noch nicht. Irgendwas Besonders. Sieh doch nur, wie die Farben in dem Glas
eingebettet sind – all diese Blau- und Grüntöne.” Bevor sie wusste, was sie
tat, schaute sie zu ihm hoch und fügte hinzu: „Sie schimmern genauso wie deine
Augen.”
    Er zog die
Brauen hoch.
    „Das war
kein Flirten”, erklärte Lucy hastig.
    „Zu spät.
Ich habe es schon als solches verbucht.” Sam schlenderte zu dem großen
elektrischen Schmelzofen hinüber. „Das ist mal ein Ofen. Welche
Maximaltemperatur erreicht er?”
    „Achthundertfünfzehn
Grad. Ich benutze ihn, um Glas zu schmelzen oder ihm eine andere Struktur zu
geben. Manchmal gieße ich auch Glas in Formen.”
    „Keine
Glasbläsereiarbeiten?”
    Lucy
schüttelte den Kopf. „Dafür bräuchte ich einen gewaltigen Schmelzofen, der
dauerhaft seine Temperatur halten muss. Und ich habe zwar schon Glas geblasen,
aber das ist nicht gerade meine Stärke. Am liebsten fertige ich
Buntglasfenster.”
    „Warum?”
    „Das sind
... Kunstwerke aus Licht. In gewisser Weise zeige ich damit, wie ich die Welt
sehe. Mache Gefühle sichtbar.”
    Mit dem
Kinn deutete Sam auf die Lautsprecher auf der Werkbank. „Hast du normalerweise
Musik laufen, wenn du arbeitest?”
    „Meistens.
Bei komplizierten Schneidearbeiten brauche ich meine Ruhe. Aber sonst lege ich
die Musik auf, nach der mir gerade ist.”
    Interessiert
sah Sam sich weiter um, durchstöberte Behälter, in denen farbige Glasröhrchen
und -stangen aufbewahrt wurden. „Wann hast du dich zum ersten Mal für Glas
interessiert?”
    „In der
zweiten Klasse. Mein Vater besuchte mit mir eine Glasbläserei, und seitdem bin
ich geradezu besessen. Wenn ich zu lange nicht arbeiten kann, bekomme ich
Sehnsucht danach. Meine Arbeit ist wie eine Art Meditation. Sie hält mich im inneren
Gleichgewicht.”
    Sam trat an
ihren Tisch und schaute sich einen Entwurf an, der dort lag. „Ist Glas weiblich
oder männlich?”
    Überrascht
lachte Lucy auf. Eine solche Frage hatte ihr noch niemand gestellt, und

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