Zaubersommer in Friday Harbor
und
Beine.” Er löste die Riemen ihres Helms
und nahm ihn Lucy vorsichtig ab. „Nein, bleiben Sie liegen. Versuchen Sie noch
nicht, sich aufzusetzen. Sie haben eine Menge abgekriegt.”
Lucy blieb
still liegen und versuchte festzustellen, was ihr alles wehtat. Ihre rechte
Seite war aufgeschrammt und brannte. In der Schulter pochte ein dumpfer
Schmerz, und sie hatte rasende Kopfschmerzen. Am schlimmsten aber schienen ihr
rechtes Bein und ihr Fuß zu sein, die schmerzten, als stünden sie in Flammen.
Die Frau
beugte sich über sie. „Der Krankenwagen ist unterwegs. Soll ich jemanden
benachrichtigen?”
Ihre Zähne
klapperten. Je mehr sie sich bemühte, das Zittern zu unterdrücken, desto
schlimmer wurde es. Ihr war kalt, eisiger Schweiß sammelte sich unter ihrer
Kleidung. In der Nase hatte sie den salzig-metallischen Geruch von Staub und
Blut.
„Immer mit
der Ruhe, langsam, Mädel”, sagte der Mann, während Lucy nach Atem rang.
„Die Pupillen sind geweitet.”
„Schock.”
Die Stimme der Frau schien aus großer Ferne zu kommen und wurde mehr und mehr
von Rauschen überlagert.
Ein Name
fiel ihr ein. Justine. Es kostete Anstrengung, die Silben
zusammenzubringen, gerade so, als wollte sie in einem Sturm Blätter aufsammeln.
Sie hörte seltsame Geräusche aus ihrem eigenen Mund. Hatte sie den Namen klar
genug aussprechen können?
„Schon
gut”, meinte der Mann beruhigend. „Versuchen Sie nicht zu sprechen.”
Neue
Geräusche, Fahrzeuge, die am Straßenrand anhielten, blitzende rote Lichter, der
rot glänzende Lack eines Rettungswagens. Stimmen. Fragen. Das Gefühl fremder
Hände an ihrem Körper, eine Sauerstoffmaske, die ihr über Mund und Nase gelegt
wurde, der Stich einer Nadel. Und dann entglitt ihr alles, und sie fiel ins bodenlose
Nichts.
Kapitel 12
ls Lucy
allmählich wieder
zu Bewusstsein kam, fand sie sich in einem Puzzle wieder, das sie erst
zusammensetzen musste, um zu begreifen. Es roch nach Latex,
Pflaster, Isopropanol. Stimmen im Hintergrund, die
ratternden Räder eines Wagens oder einer Transportliege, Telefonklingeln,
elektronisches Gepiepe eines Überwachungsmonitors. Befremdet stellte sie fest,
dass sie vor sich hin redete und die Silben einfach nicht ganz zum Bild passen
wollten, wie eine Schauspielerin in einem schlecht synchronisierten Film.
Sie trug
ein dünnes Krankenhausnachthemd und konnte sich nicht
entsinnen, es angezogen zu haben. Eine Infusionsnadel steckte in ihrem
Handrücken und war mit Pflaster fixiert. Jedes Mal, wenn ein Pfleger oder eine
Pflegerin die kleine Kabine betrat, wurde der Vorhang davor schwungvoll
beiseitegezogen, und die Aufhänger ratterten durch die Vorhangschiene. Das
hörte sich fast so an, als verquirlte jemand in einer Metallschüssel mit einem
Schneebesen Eier.
Ihr rechtes
Bein steckte bis zum Fußgelenk in einer Gipsschiene.
Vage erinnerte sie sich daran, untersucht und geröntgt worden zu sein. Obwohl
sie wusste, dass sie großes Glück gehabt hatte und der Unfall viel übler hätte
ausgehen können, verfiel sie in eine erstickende Depression. Sie wandte den
Kopf zur Seite, und das Kissen unter ihr knisterte, als sei es aus Kunststoff.
Eine Träne lief ihr über die Wange und wurde vom Kissenbezug aufgesogen.
„Hier.”
Die Krankenpflegerin reichte ihr ein Taschentuch. „Das ist normal nach einem
Unfall”, sagte sie, als Lucy sich die Augen abtupfte. „In den nächsten
Tagen werden Sie sicherlich noch öfter mal weinen.”
„Danke.”
Lucy zerknüllte das Papiertuch in ihrer Hand. „Können Sie mir sagen, was mit
meinem Bein los ist?”
„Der Arzt
schaut sich gerade die Röntgenaufnahmen an. Er wird bald mit Ihnen reden.”
Die Frau lächelte, sie wirkte freundlich.
„Inzwischen haben Sie Besuch.” Sie zog den Vorhang zurück und blieb
abrupt stehen, als sie überraschend jemanden vor sich sah. „Oh! Sie hätten
eigentlich im Warteraum bleiben sollen.”
„Ich muss
sie aber jetzt sofort sehen.” Es war Justines entschlossene Stimme.
Ein
schwaches Grinsen kroch über Lucys Gesicht.
Justine kam
herein wie eine frische Brise. Ihr dunkler Pferdeschwanz wippte, und ihre
Gegenwart in der kalten Sterilität der Krankenhausumgebung wirkte belebend.
Die Erleichterung darüber, dass ihre Freundin da war, ließ erneut Tränen in
Lucys Augen schießen.
„Lucy ...
Mädchen ...” Justine trat näher und rückte sorgfältig den
Infusionsschlauch zurecht. „Mein Gott, ich habe Angst, dich in den Arm zu
nehmen. Wie schlimm ist es denn?
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