Zebulon
Gitterstäbe.
Er sah auf. »Du hättest nicht kommen sollen.«
»Ich hatte keine Wahl.«
Er humpelte ans Fenster und griff durch die Eisenstäbe. Mit einem Finger berührte er ihre Hand.
»Du hättest mich schon längst verlassen sollen.«
»Ich hab’s versucht.«
»Das stimmt. Und wie du’s versucht hast. Ich hab immer gehofft … Weißt du schon, dass sie mich morgen hängen?«
»Übermorgen«, sagte der Hilfssheriff, der von seiner Bank aus zuhörte.
»Könnt ihr’s nicht vorverlegen?«, fragte Ivan ihn. »Je eher ich abtrete, desto besser. Damit dieses Drama ein Ende findet.«
»Ich frag mal nach«, sagte der Hilfssheriff. »Aber es ist nicht so leicht, ein großes Fest vorzuverlegen.«
»Auch ohne das Gold hatten wir genug, um uns zu retten«, sagte Ivan zu Delilah. »Das ist die bittere Ironie. Wir hätten überallhin gehen können – Ägypten, Tasmanien, Brasilien. Irgendwohin, nur weg von hier … Aber Schluss mit dem Wenn und Aber. Da ist mir der Henker noch lieber.«
Plötzlich bemerkte er Hatchet Jack und Zebulon, die auf der anderen Straßenseite standen, Zigarren rauchten und zu ihm und Delilah herüberschauten.
»Die sind mit mir da«, erklärte sie. »Zebulon jedenfalls. Den andern haben wir außerhalb der Stadt getroffen. Hatchet Jack. Er hat gesagt, er hätte schon mit dir zu tun gehabt.«
»Allerdings. Und er hat mir klargemacht, dass ihn keine Schuld trifft und dass er kein schlechtes Gewissen haben will. Weswegen?, hab ich ihn gefragt. Ich war entsetzt. Es hat mich auf den Gedanken gebracht, dass in Wirklichkeit er den Mann auf dem Gewissen hat, den ich erschossen haben soll. Mir war nicht danach, ihm die Absolution zu erteilen. Oder ihm sonst einen Gefallen zu tun. Nicht dass das in meiner Macht stünde. Und Zebulon kann mir auch gestohlen bleiben. Wenn du nicht dafür gesorgt hättest, dass er vom Schiff geht, hätte ich ihn über Bord geworfen. Ich nehme an, du wirst jetzt mit ihm weggehen. Hoffentlich ist er nicht so abartig sentimental wie der andere. Wie heißt er noch? Hatchet?«
»Ich gehe mit niemandem weg.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte er. »Allein schaffst du’s nie, am Leben zu bleiben.«
»Ich war immer allein, und ich bin immer am Leben geblieben.«
»Wenn du das wirklich glaubst, dann nur zu. Wenn dir das hilft.«
»Verzeih mir, Ivan«, sagte sie. »Ich … Ich will doch nur …«
»Mein Gott«, unterbrach er sie. »Erspar mir einen rührseligen Abschied. Ich hätte nicht gedacht, dass du das nötig hast. Können wir nicht einfach übers Wetter reden oder über die schreckliche Musik auf dem Stadtplatz oder einfach nichts sagen?«
»Wir haben keine Zeit mehr, Ivan«, erwiderte sie. »Bitte.«
»Zeit. Ich gähne mich durch die Zeit. Ich will mich nicht trösten lassen, und ich bin auch nicht bereit, Sühne zu leisten. Dieser Mist ist mir zuwider.« Er schüttelte den Kopf. »Ich verzeihe weder dir noch mir. Es gibt nichts zu verzeihen, und wenn doch, würde ich lügen und behaupten, ich verzeihe dir.«
»Ivan … Bitte.«
Sie zog eine längliche Wurzel aus ihrer Bluse und schob sie ihm durch die Gitterstäbe.
»Kau das, bevor sie dich holen kommen«, flüsterte sie.
»Was für ein seltsamer Segen«, antwortete er so leise, dass der Hilfssheriff es nicht hörte. »Es ist leichter für mich, weißt du. Ich brauche nur zu sterben. Du musst weitermachen. Nicht dass ich nicht gern mit dir tauschen würde.«
Der Hilfssheriff klopfte mit dem Schaft seines Gewehrs gegen die Wand. »Die Zeit ist um.«
»Ich komme morgen wieder«, sagte sie.
Er zog eine goldene Taschenuhr aus seinem Hemd und steckte sie ihr zu. »Apropos Zeit. Zur Erinnerung.«
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Ich hab dich immer geliebt, auch wenn ich dich nicht geliebt habe.«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er in grausam ungeduldigem Ton, als wollte er sie vertreiben. »Komm morgen. Aber kein Geheule.«
»Versprochen«, sagte sie.
Er sah ihr nach, wie sie mit Hatchet Jack und Zebulon die Gasse entlangging, bis sie um die Ecke bogen.
»Weg ist sie«, sagte er zu dem Hilfssheriff. »Weg, bevor sie überhaupt gekommen ist.«
A LS SIE AN DER K IRCHE VORBEIGINGEN , kamen die Gemeindemitglieder in Scharen die Treppe zum Stadtplatz herunter. Die meisten waren Mexikaner, die Frauen in bestickten Kleidern und mit schwarzen Kopftüchern, aber auch ein paar chilenische und peruanische Goldsucher waren darunter, in roten Ponchos und Chaps aus Leder.
»Ich brauche einen Drink«, bat
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