Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehn Jahre nach dem Blitz

Zehn Jahre nach dem Blitz

Titel: Zehn Jahre nach dem Blitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pjhilip K. Dick
Vom Netzwerk:
zeitweilig, etwas ruhiger zu werden. Denn, so stellte er fest, in ungefähr fünfzehn Minuten werde ich durch sein, und dann beginnt die Jagd auf mich.
    Das instinktive Wissen, daß er schon sehr bald zum Jagdwild werden würde, behagte ihm ganz und gar nicht.
    Für etwas Künstliches und Kompliziertes, mit Tausenden von absolut genauen Mikrobestandteilen, mit Rückkopplungs- und Verstärkersystemen, mit Wahrnehmungssensoren und unabhängigen und faktisch unversiegbaren Energiequellen und, was das Schlimmste war, mit Richtungsantennen, deren Funktionsweise die wesentliche Eigenschaft des Lebens zugrunde lag: der Faktor, den man Wärme nennt.
    Die traurige Wahrheit war einfach die: durch die Tatsache, daß er lebendig war, zog er Aufmerksamkeit auf sich; so sah die Wirklichkeit auf der Oberfläche der Erde aus, und er mußte darauf gefaßt sein, denn er sah sich der bevorstehenden Notwendigkeit gegenüber, die Flucht zu ergreifen. Er konnte nicht kämpfen. Entweder entkam er, oder er mußte sterben. Und die Flucht mußte in dem Augenblick beginnen, in dem er die Erdoberfläche durchbrach, und hier, in der stickigen Finsternis des engen Schachtes, während er die konservierte Luft atmete und sich wie ein Insekt an die Bolzen klammerte, die er in die Schachtwand getrieben hatte, dachte er, daß es vielleicht schon zu spät war.
    Vielleicht war er schon geortet worden, bevor er noch die letzte Schicht durchbrach. Die Vibrationen seiner kleinen, überhitzten, tragbaren Schaufel, die kurz davor war, den Geist aufzugeben. Oder sein Atem. Oder – und immer wieder zurück zu diesem absurden Grundübel der Lebensgrundlage – vielleicht hatte seine Körperwärme eine automatische Mine aktiviert (er hatte sie auf den Bildgeräten gesehen), und die Mine hatte sich bereits aus der Bodensenke gelöst, in die sie sich gebohrt hatte, bis nichts mehr von ihr zu sehen war ... hatte sich gelöst und schob sich jetzt über den Schutt, der die Erdoberfläche bedeckte wie die eklen Überbleibsel eines widerlichen, gigantischen, wahnsinnigen, sinn- und grenzenlosen Besäufnisses. Schob sich voran, um ihn genau an dem Schnittpunkt, an dem er die Erdoberfläche durchbrechen würde, in Empfang zu nehmen. Höchste Vollkommenheit, dachte er, in der Übereinstimmung von Zeit und Raum als Koordinaten zwischen ihm und der Mine. Zwischen dem, was er tat, und dem, was sie tat.
    Er wußte, daß sie da war. Hatte es, genaugenommen, von dem Augenblick an gewußt, in dem er in den Schacht gestiegen war, den man augenblicklich hinter ihm versiegelt hatte. »Ihr Aktivisten«, sagte er, »ihr Leute vom Komitee, ihr solltet jetzt hier an meiner Stelle sein.«
    Die Sauerstoffmaske dämpfte seine Stimme, sie drang kaum bis an sein eigenes Ohr; er spürte sie wie eine Vibration, die durch seine Gesichtsknochen übertragen wurde. Ich wünschte, Dale Nunes hätte mich zurückgehalten, dachte er. Wie hätte ich ahnen sollen, dachte er, daß ich solche Angst haben kann?
    Das muß der neuralgische Punkt sein, der zwanghafte Wahnvorstellungen auslöst, überlegte er. Das unangenehme Wissen darum, daß man beobachtet wird. Es war, stellte er fest, das scheußlichste Gefühl, das er je gehabt hatte; selbst der Aspekt der Furcht war unbedeutend, der überwältigende Faktor, die Unerträglichkeit bestand in dem Gefühl der Unausweichlichkeit selbst.
    Er setzte die Schaufel wieder in Gang; sie ächzte und begann wieder zu graben; über ihm wichen Erde und Felsgestein und wurden pulverisiert, verbrannt, in Energie umgewandelt, oder was immer die Schaufel tat – das Abfallprodukt glich feiner Asche, die von der Schaufel ausgeschieden wurde, nicht mehr.
    Ihr mechanischer Metabolimus hatte alles andere verbraucht, und daher füllte sich der Schacht nicht wieder auf unter ihm.
    Er konnte also zurückkehren.
    Aber er tat es nicht. Er setzte seinen Weg fort.
    Eine dünne Stimme drang aus dem unscheinbaren Funkgerät, das ihn mit dem Komitee im Tom Mix verband. »Hallo, Präsident St. James, ist alles in Ordnung bei Ihnen? Wir warten schon eine Stunde, und Sie sagen kein Wort.«
    Er antwortete: »Das einzige, was ich zu sagen habe ...« dann brach er ab; wozu es sagen? Sie hatten es bereits gehört, und sie wußten ohnehin längst, wie ihm zumute war. Und überdies – ich bin ihr gewählter Präsident, dachte er, und gewählte Präsidenten selbst eines unterirdischen Ameisentanks nehmen derartige Worte nicht in den Mund. Das Funkgerät verstummte, man hatte verstanden.
    Zehn

Weitere Kostenlose Bücher