Zehn Jahre nach dem Blitz
sprechen konnte, konnte diese Szene nicht stattgefunden haben. Die entscheidende Aufnahme, die er gerade gesehen hatte, offenbarte sich als das, was sie war – und infolgedessen enthüllte sie das wahre Wesen des ganzen »Dokumentarfilms«. Eine beabsichtigte, sorgfältig durchdachte Fälschung, die zu dem Zweck hergestellt worden war, Deutschland von der Schuld seiner Taten und Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg freizusprechen. Denn 1982 war Deutschland bereits wieder zur Weltmacht aufgestiegen, war ein bedeutender Teilhaber in der Gemeinschaft der Nationen, die sich als »Die Westlichen Demokratien« bezeichnete oder, vereinfacht, als Wes-Dem, nachdem sich die Vereinten Nationen während des Lateinamerikanischen Krieges im Jahre 1977 aufgelöst hatten und dadurch ein Machtvakuum entstanden war, in das sich die Deutschen geschickt und begierig gedrängt hatten.
»Mir ist schlecht«, sagte Adams zu Colleen, während er zitternd nach seiner Zigarette griff. Sich vorzustellen, dachte er, daß das, was wir heute sind, auf eine so plumpe Gaukelei zurückgeht, wie sie diese Szene darstellt – in der sich Josef Stalin in einer Sprache unterhielt, die er nicht verstand.
Nach einem kurzem Schweigen sagte Colleen: »Nun, Fischer hätte ...«
»Es leicht in Ordnung bringen können. Ein einziger unbedeutender Dolmetscher. Mehr war nicht nötig. Aber Fischer war Künstler – ihm gefiel die Vorstellung, daß sie sich tête-à-tête unterhielten, ohne Vermittler; er fand es wirkungsvoller so.« Und Fischer hatte recht behalten, denn die »Dokumentation« war weltweit als historisch zutreffend anerkannt worden, als Beweis des »Ausverkaufs« in Jalta, als Untermauerung des »mißverstandenen« Adolf Hitler, der doch in Wahrheit nur versucht hatte, die westlichen Demokratien vor den Kommunisten zu retten – und selbst die Todeslager; selbst sie waren durch die Erklärung beseitigt worden. Und es war nicht mehr dazu vonnöten gewesen, als ein paar aneinandergereihte Aufnahmen britischer Kriegsschiffe und verhungerter Lagerinsassen, einige von Grund auf gefälschte Szenen, die schlichtweg niemals stattgefunden hatten, einige echte Filmstreifen aus den Heeresarchiven der Wes-Dem ... und die beruhigende Stimme, die die Verbindung zwischen all dem herstellte. Beruhigend – aber fest.
Hübsch.
»Ich verstehe nicht«, warf Colleen gleich darauf ein, »warum du dich so darüber aufregst. Liegt es daran, daß der Fehler so augenfällig ist? Er. war es damals nicht, denn wer wußte 1982 schon, daß Stalin kein ...«
»Weißt du noch«, unterbrach Adams sie langsam und mit bedächtiger Stimme, »wie der entsprechende ausschlaggebende Schwindel in der Fassung B aussieht? Hast du sie dir je genau angesehen? Denn ich bin überzeugt, daß selbst Brose sich die Fassung B niemals so aufmerksam angesehen hat wie die Fassung A.«
Nachdenklich entgegnete sie: »Warte. In der Fassung B für die kommunistische Welt des Jahres 1982 ...« Sie hielt stirnrunzelnd inne und sagte dann: »Es ist lange her, daß ich irgendeinen Teil von Fassung B gesehen habe, aber ...«
Adams fiel ein: »Laß uns mit der Hypothese beginnen, die der Fassung B zugrunde liegt. Daß nämlich die UdSSR und Japan gemeinsam versuchen, die Zivilisation zu retten. England und die Vereinigten Staaten sind insgeheim mit den Nazis, mit Hitler, verbündet; sie haben ihn an die Macht gebracht, damit er die osteuropäischen Staaten angreifen und den Status quo gegen die aufsteigenden Nationen des Ostens erhalten sollte. Wir wissen das. England und die Vereinigten Staaten gaben sich im Zweiten Weltkrieg lediglich den Anschein, als kämpften sie gegen Deutschland; alle Landkämpfe an der Ostfront wurden von den Russen geführt; die Invasion in der Normandie – wie nannten sie es? Die Zweite Front? – fand erst statt, nachdem die Deutschen bereits von Rußland besiegt worden waren; die Vereinigten Staaten und Großbritannien eilten herbei, um so viel von der Siegesbeute an sich zu reißen, wie ...«
»Siegesbeute«, fiel Colleen ein, »die rechtmäßig der UdSSR gehörte.« Sie nickte. »Aber wo ist Fischer in der Fassung B ein technischer Fehler unterlaufen? Die Vorstellung ist ebenso glaubhaft wie die in der Fassung A vertretene, und der Originalfilm der Fassung B, der die Rote Armee vor Stalingrad zeigt ...«
»Ja. Alles echt. Authentisch und durchaus überzeugend. Der wurde vor Stalingrad entschieden. Aber ...« Er ballte die Hand zur Faust und zerdrückte seine Zigarette,
Weitere Kostenlose Bücher