Zehn Milliarden (German Edition)
stärker, und eine freundliche Stimme sagte eindringlich:
»Madam, bitte stellen Sie die Sitzlehne senkrecht. Wir landen in wenigen Minuten.« Sie schlug die Augen auf. Das Blut schoss ihr in den Kopf, als sie den prüfenden Blick der Stewardess bemerkte.
»Entschuldigung«, murmelte sie verlegen und folgte der Aufforderung. Der junge Mann im Sitz neben ihr hatte die Szene schmunzelnd verfolgt, was sie erheblich verunsicherte. Hatte sie im Traum gesprochen? Peinlich! Ihr Sitznachbar schien sich ohnehin ziemlich unverhohlen für sie zu interessieren. Er erinnerte sie stark an ihren Bruder, unkompliziert, geistreich und witzig wie er war. Die Air France Maschine aus Paris landete mit zwei Stunden Verspätung auf dem Los Angeles International Airport. Zerstreut und teilnahmslos ließ Emily die umständliche Einreiseprozedur über sich ergehen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem bevorstehenden Wiedersehen. Je näher der Ausgang hinter der Zollkontrolle rückte, desto heftiger klopfte ihr Herz, obwohl sie wusste, dass Vic erst später eintreffen würde.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte der junge Mann, neben dem sie die letzten zwölf Stunden gesessen hatte. Er lud ihr umfangreiches Gepäck auf den Wagen und ließ ihr lächelnd den Vortritt. Der arme Junge hatte sich wohl etwas in sie verknallt. »Wohin soll’s gehen?«
»Zu den Taxis bitte.«
»Das habe ich gehofft.«
»Wie bitte?« Der Mann grinste.
»Dass Sie nicht abgeholt werden.« Sie lachte.
»Machen Sie sich keine Hoffnungen, ich werde in der Stadt erwartet.« Er ließ sich nicht entmutigen, deutete auf ihre Hand, an der ein Ehering fehlte und entgegnete:
»Die Hoffnung stirbt zuletzt. Da Sie nicht verheiratet sind, bin ich guter Dinge.« Der harmlose Flirt tat ihr gut. Ihre Unsicherheit und das ängstliche Herzklopfen waren wie weggeblasen. Während sie sich den Weg zum Ausgang bahnten, warf sie einen Blick auf die Anzeigetafel. Air France, Papeete: on time. Ausgezeichnet, in weniger als zwei Stunden würde Vic auch hier ankommen. Bevor sie ins Taxi stieg, hauchte sie dem galanten Verehrer zum Dank einen Abschiedskuss auf die Wange, an den er sich wohl noch lange erinnern würde. Jedenfalls blieb er reglos stehen und schaute dem Wagen nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.
»Ritz-Carlton, Marina del Rey«, sagte sie zum Fahrer und lehnte sich zurück. Dr. de Moreau hatte eine Suite reserviert. Als sie allein im großen Salon der geschmackvoll eingerichteten, noblen Wohnung im zehnten Stockwerk des Hotels stand, kehrte die Unsicherheit mit einem Schlag wieder zurück. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Was erwartete Vic von ihr, sie von ihm? Sie sah die Champagnerflasche im Kühler auf dem Tisch neben dem Korb mit frischen Früchten. Mit geübtem Griff drehte sie den Korken heraus, goss sich ein Glas ein, stürzte die eiskalte, prickelnde Flüssigkeit hinunter und trank gleich noch ein Glas. Sie zog die Kleider aus, warf sie achtlos aufs Sofa und stieg in die Dusche. Ihr heißer Kopf schmerzte. Sie musste den Warmwasserhahn zurückdrehen, um sich etwas abzukühlen. Nicht wirklich erfrischt, aber wenigstens nicht mehr verschwitzt, wickelte sie ein Badetuch um ihren Körper und ging zurück ins Wohnzimmer. Durch die Fenster zum Balkon blinkten die unzähligen Lichter der Marina. Sie hatte Durst. Gierig trank sie ein weiteres Glas des kühlen Schaumweins, und noch eins. Ihre Gedanken kreisten stets nur um das Eine: war sie wirklich bereit für eine enge Beziehung, gleichsam versinnbildlicht durch die Abgeschlossenheit dieser kleinen Wohnung? Sie konnten unmöglich einfach dort weitermachen, wo sie vor zwei Jahren aufgehört hatten. Zuviel war inzwischen geschehen. Durch die halb offene Schlafzimmertür sah sie das frisch bezogene Bett, das sich wie eine fette Matrone breit machte, als wollte es sie an eheliche Pflichten erinnern. Ihr wurde übel. Nackt, nur spärlich mit dem Tuch bekleidet, rannte sie zur Toilette und übergab sich. Es klopfte, und die Tür der Suite öffnete sich. Nein! Er durfte sie nicht so antreffen, nicht jetzt, im alles entscheidenden Augenblick! Aber es war schon zu spät.
»Emily, um Himmels willen!«, hörte sie Vics bekannte Stimme ausrufen. Sie würgte und musste sich nochmals über die Schüssel beugen. Sie wollte etwas sagen, doch dann begann sie hemmungslos zu schluchzen. Sie zitterte am ganzen Körper. Zärtlich hüllte er sie in einen der dicken Bademäntel und reichte ihr wortlos ein Glas Wasser. Als
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